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Es blieb ein begrabener Aschenbecher

Frédéric Beigbeder schrieb mit »Oona und Salinger« eine Hommage an seinen Lieblingsautor Jerome D. Salinger

  • Lilian-Astrid Geese
  • Lesedauer: 3 Min.

Marketing-Leute würden es Premium-Angebot nennen, als literarisches Genre ist es schlicht Fiktion: Frédéric Beigbeder hat ein neues Buch vorgelegt, das kluge Unterhaltung bietet und viel mehr. »Oona und Salinger« ist eine Hommage an seinen Lieblingsautor Jerome D. Salinger (1919-2010), der sich, nach dem unerwarteten Bestsellererfolg seines einzigen Romans »Der Fänger im Roggen« (1951) und wenigen weiteren Novellen, 1965 gänzlich aus der Öffentlichkeit zurückzog. Beigbeder »sieht« ihn zunächst 1940, als er sich unsterblich in das Glamour Girl Oona O’Neill verliebt. Die 15-jährige Promitochter des unnahbaren Dramatikers Eugene O’Neill verbringt ihre Nächte zusammen mit den Millionärserbinnen Gloria Vanderbilt und Carol Marcus im angesagten New Yorker Stork Club. Oona flirtet, doch Jerrys Gefühle erwidert sie nicht: »Du wirst immer zu meiner Vergangenheit gehören, aber du gehörst nicht zu meiner Zukunft«, erklärt ihm das verwöhnte Kind.

Während der schüchterne junge Mann in den Zweiten Weltkrieg zieht, geht sie nach Hollywood, um Filmstar zu werden. Dort heiratet sie den 36 Jahre älteren Charles Chaplin, mit dem sie später vor den bigotten, amerikanischen Kommunistenjägern nach Europa flieht. Als Witwe kehrt sie 1977 nach New York - und zum Alkohol - zurück. 1980 wird sie Salinger noch wiedersehen, erzählt Beigbeder. Doch ihre Liebe, die vielleicht nie eine war, ist so zerbrochen, wie der Aschenbecher aus dem Stork Club, den Jerry ihr zum Abschied schenkt, und den sie später im Central Park begraben wird.

Beigbeders Hommage an Salinger ist also auch eine Geschichte Oona O’Neills. Und eine leidenschaftliche Erklärung gegen den Krieg. Jerry schickt Feldbriefe aus der fernen Normandie, mit denen er nicht nur seinen Herzschmerz bekämpft, sondern die auch das erlebte Grauen zu bewältigen sucht: Im Juni 1944 landet er mit den US-amerikanischen Truppen am Utah Beach, er erlebt »die Hölle von Hürtgenwald«, die »Fleischfabrik«. Und dann am 27. April 1945 die Befreiung des KZ Dachau. Wegen einer posttraumatischen Störung wird er später in der Psychiatrie des Nürnberger Krankenhauses stationär behandelt; doch die Schreckensbilder der Leichenberge und Krematorien lassen ihn nie mehr los. »Ein ganzes Leben reicht nicht aus, um den Geruch aus der Nase zu kriegen«, erzählt er seiner Tochter Margaret, zitiert von Beigbeder.

Doch der französische Starschriftsteller - »Neununddreißigneunzig«, »Windows on the World«, »Ein französischer Roman« - wäre nicht Beigbeder, wenn er nur das Dramatische und Unmenschliche beschriebe. »Oona und Salinger« ist voll von dieser wunderbaren Ironie, für die wir ihn lieben. So enthält er eine Liste berühmter Paare mit großem Altersunterschied - von Hugh Hefner/Crystal Harris (60 Jahre) bis Serge Gainsbourg/Jane Birkin (18 Jahre). Chaplin/O’Neill liegen da im guten Mittelfeld, konstatiert Beigbeder.

Schließlich ist der Roman nicht nur eine authentisch-fiktive Geschichte über J.D. Salinger, sondern auch eine fiktiv-authentische Geschichte über Beigbeder selbst. Seit den frühen 2010er Jahren, berichtet er, habe er keinen Kontakt mehr zu Gleichaltrigen: »Ich war aufrichtig gerontophob geworden«, beichtet er seinen Lesern. »Vierzigjährige Frauen mit ihren Neurosen, die mit den meinen identisch waren, flößten mir Angst ein.« Mit sehr viel Witz beschreibt er, was das im Leben eines attraktiven Franzosen bedeutet. (Ein Schelm, wer dabei an Houellebecq denkt.)

Von einer solchen Einleitung über eine tragische Liebesromanze die Kurve zur Kritik an Krieg, Konsum und Heuchelei zu kriegen und dabei unglaublich spannende Geschichten zu erzählen, kann nur ein wahrer Schriftsteller. Einer wie Frédéric Beigbeder. Lesen Sie »Oona und Salinger« im französischen Original (Editions Grasset, 2014) oder in der schönen Übersetzung von Tobias Scheffel (Piper, 2015). Es wird Ihnen gefallen.

Frédéric Beigbeder: Oona und Salinger. Roman. Aus dem Französischen: Tobias Scheffel. Piper. 304 S., geb., 19,99 €.

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