Werbung

Bunter Protest unterhalb der Alpenfestung

G7-Kritiker trotzten dem Unwetter und der kompromisslosen weiß-blauen Staatsmacht

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 6 Min.
Fantasievoll war der Protest gegen das Gipfeltreffen und die Politik der G7. Die Polizei dagegen tat sich mit unnötiger Härte hervor.

Die Bahnhofstraße in Garmisch-Partenkirchen steht noch. Das Schreibwarengeschäft »Ahrens« am Rathausplatz 18 hätte seine Scheiben nicht mit Holzbrettern abdecken müssen. Der »Fußpflege« (Entgiften und Entschlacken) daneben ist nichts passiert und auch das »Cafe Kreitinger« (Apfelstrudel mit Vanille 5,50 Euro) wurde nicht verwüstet. Die Proteste gegen die Politik der G7-Staatschefs und ihre Präsenz in der Alpenfestung Elmau waren friedlich, bunt, fantasievoll.

Schaden genommen hat die demokratische Kultur. Die weiß-blaue Demonstration von staatlicher Macht hat Garmisch-Partenkirchen und die ganze Region in ein Heerlager verwandelt. »Die Polizeipräsenz war sehr einschüchternd«, sagt ein Sprecher des Bündnisses »StopG7«. »Auch für die normale Bevölkerung.«

Auch Janosch, ein 17-jähriger Schweizer Mitglied einer siebenköpfigen Gruppe aus Basel, zieht als Bilanz: »Eine extreme Provokation.« So enge Polizeispaliere gebe es in der Schweiz nicht. Man kann der Demonstrationsfreiheit auch einfach durch schiere Masse an Uniformen, Schutzhelmen, Blaulichtern, Stiefeln und Absperrgittern die Luft nehmen.

Garmisch-Partenkirchen, Samstag am Nachmittag. Es ist zunächst die Fortsetzung der friedlichen Großdemonstration vom Donnerstag in München: nur ein wenig kleiner, ein wenig antikapitalistischer und sehr viel mehr von der Polizei flankiert. Rund 7500 Menschen, so die Veranstalter, demonstrierten gegen die Politik der G7 und deren Treffen im nahen Schloss Elmau. Eine derartig bunte Kundgebung hatte die Marktgemeinde noch nie gesehen. Das gilt auch für das Protestcamp auf einer Wiese an der Loisach am Stadtrand. Graugrün schlängelte sich der Fluss in seinem Bett und gab mit seinem normalen Wasserstand das vorgeschobene Argument - Hochwassergefahr - , mit dem man das Camp verbieten wollte, der Lächerlichkeit preis. Auch wenn später ein Wolkenbruch über das Camp hereinstürzte. Doch an diesem Mittag noch unter strahlenden Sonnenschein und blauem Himmel wehte hier wohl zum ersten Male die schwarze Fahne der Anarchisten und rote Fahnen vor der mächtigen Bergkulisse mit der Zugspitze. »Die Stimmung ist topp und wir haben hier interessante Begegnungen mit den Leuten aus dem Ort. Alles ist entspannt«, sagte Hoschy. Der 30jährige ist wie andere als Mitglieder des Motorradclubs »Kuhle Wampe« nach Garmisch-Partenkirchen gekommen. Seit Dienstag haben sie das Camp aufgebaut, eine bunte und lebendige Zeltstadt.

Von hier aus ziehen am Samstag um 12 Uhr an die 2000 Leute zur Großdemonstration am Garmischer Bahnhofsplatz, »locker durch die Polizeikräfte begleitet«, wie das ein Polizeisprecher über Mikrofon durchgibt. Polizeikräfte gibt es reichlich hier in der Region. Trotzdem: Die Demo hin zur Hauptdemo ist entspannt, mit Trommelgruppen und tanzenden Clowns. Am Bahnhofsplatz gibt es dann heiße Reaggea-Rythmen zu hochsommerlichen Temperaturen.

Das atmosphärische Gegenstück bildet quasi das offizielle Pressezentrum, das unweit vom Kundgebungsort in der Eishockeyhalle untergebracht ist. Runtergekühlt und mit Sicherheitsschleusen versehen, sollen hier 5000 Journalisten vom Gipfel berichten. Die meisten werden vom offiziellen Gipfel allerdings nur die TV-Übertragung sehen, was man auch von zu Hause hätte machen können. Aber es gibt ja noch die Proteste und am Samstag Abend umsonst etwas zu essen, weil die bayerische Staatsministerin Ilse Aigner das Pressezentrum offiziell eröffnet. Die Wetten, dass sie dabei ein Dirndl trägt, stehen hoch.

Derweil hat sich gegen 15 Uhr die Demonstration formiert, doch langsam tauchen dunkle Wolken über der Zugspitze auf. Und es geht zäh voran, die Polizei schirmt rechts und links die Protestierenden mit fast geschlossenen Einsatzreihen ab. Die Parolen sind etwas entschiedener als in München. »Gegen den rassistischen Normalzustand«, ist da zu lesen, und: »Krieg den Hütten, Paläste für alle.« Oder: »Hey, ihr gierigen Finanzbestien, fahrt zur Hölle.«

Ein Ehepaar aus Ingolstadt hat Zylinderhüte mit ausgestopften Gockeln auf dem Kopf und fordert »StopG7«. Auch Einheimische sind vertreten. Leonhard Zach ist mit einer Schelle, einer großen Kuhglocke, dabei. Der Biomilchbauer kommt aus dem nahen Ohlstadt, hat 50 Kühe und etwas gegen Gentechnik. Deshalb geht der 55-Jährige hier mit. Er meint, die Einschüchterungen von offizieller Seite waren vor dem Gipfel schon groß: »Jeder, der hier mitgeht, steht für einhundert andere.« Auch die Münchner Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Nicole Gohlke, ist als »Parlamentarische Beobachterin« dabei. Ihr Fazit um 15 Uhr: »Die Vielfalt der Proteste ist toll.«

Dann kommt es in der Bahnhofsstraße in Garmisch zu Steinwürfen, pflastersteingroße Trümmer fliegen durch die Luft - es handelt sich um Steine aus Schaumgummi, eine Karikatur auf die Angstmache des bayerischen Innenministers vor den wilden Horden. Die Einwohner von Garmisch-Partenkirchen stehen derweil staunend am Straßenrand und an den Fenstern und verfolgen die Demonstration, als wäre das eine Art Faschingszug. Manche winken.

Doch später kommt es zu einem Zwischenfall. Die Polizei geht mit Pfefferspray und Knüppeln während einer Theateraufführung gegen einige Demonstranten vor, die verletzt werden. Es trifft vor allem die Frauen einer Tanzgruppe. Janosch: »Die haben richtig geknüppelt.« Doch niemand wird verhaftet oder in Gewahrsam genommen, die Demo geht schließlich weiter. Bis der große Regen kommt.

Es ist gegen 19 Uhr, als im Pressezentrum Staatsministerin Ilse Aigner die internationale Presse begrüßt - sie trägt kein Dirndl. Draußen dreht sich ein Ochs am Spieß und einige Minuten zuvor waren am Rande des Pressezentrums Helikopter gelandet. Als die Landesministerin mit ihrer Begrüßung beginnt, versteht man kaum ein Wort, so laut prasselt der Regen auf das Zeltdach.

Das ist der Moment, als sich draußen wegen dem Wolkenbruch die Demonstration auflöst, manche Teilnehmer werden völlig durchnässt. Man beginnt das Camp zu evakuieren, doch dann beschließen die G7-Gegner zu bleiben. Bewohner von Garmisch-Partenkirchen bieten ihre Hilfe an, am Bahnhof finden sich durchnässte und frierende Demo-Teilnehmer ein. Die Bahn ist zunächst nicht fähig, einen funktionierenden Zug nach München zur Verfügung zu stellen.

Sonntag, es herrscht wieder Bilderbuchwetter. Im blauen Himmel über dem Wettersteingebirge fliegen am Vormittag die sieben Regierungschefs in die bayerische Alpenfestung ein. Die Gipfelgegner haben sich auf mehrere Aktionen aufgeteilt. Rund 700 Leute begeben sich am frühen Morgen auf zwei verschiedenen Wanderwegen zum Sicherheitszaun rund um Schloss Elmau. Eine Fahrradgruppe versucht eine Sitzblockade auf der Bundesstraße 2, einige werden festgenommen. Am Bahnhof Klais findet eine Kundgebung statt.

Im Pressezentrum erscheint gegen 12.15 Uhr Doland Tusk, Präsident der Europäischen Rates, auf den Bildschirmen und sagt in Richtung Proteste, dass jeder in den G7-Staaten sagen könne, was er wolle. Und sogar so aussehen, wie er will. Und dass das auch mal gesagt werden müsse. Dann kommt Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, und sagt, Europa brauche Wachstum.

Draußen auf dem Bahnhofsplatz formiert sich derweil eine neue, kleine Demonstration, die zum provisorischen Gefängnis im Ambrax-Komplex ziehen will und die Freilassung der Festgenommen fordert. Die Aktivisten werden wieder von massiven Polizeikräften eskortiert. Die Bahnhofstraße in Richtung Bundesstraße ist durch Polizeiwägen abgesperrt, es wacht ein schwarzer Block hessischer Polizisten. Über dem Wettersteingebirge zeigen sich immer mehr Wolken. Wind kommt auf. Am Montag werden die Gruppenfotos der G7-Politiker vor der weißblauen Bilderbuchkulisse in die Welt gehen. Und auch welche vom trotzig-friedlichen Protest ihrer Kritiker.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!