Wildwest im Osten

Osceola, Ulzana, Tecumseh, Chingachgook, Tokaitho: Der DEFA-Indianer Gojko Mitic wird 75

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Gestus: forscher Erledigerstolz. »Das Kapitel Karl May ist in der DDR schon vor Jahren endgültig geschlossen worden«, schrieb 1958 das »Börsenblatt« des Buchhandels. 1982 dann hieß es, der Proletariersohn sei ein aufrechter »Kämpfer gegen die US- Raub- und Ausrottungspolitik« gewesen. So ändern sich Meinungen, zum Glück (Änderung ist wesentlicher als jener Brustton, der in solchen Fällen oft der gleiche bleibt).

Also: Die nach uns jung waren, konnten ab Anfang der Achtziger endlich auch Karl May lesen. Spät genug. Zuvor war er tabu gewesen. In Radebeul gab es zwar ein Karl-May-Museum, aber sich damit zu begnügen, hätte der Idee entsprochen, sich mit dem Kauf eines Atlas über fehlende Reisefreiheit hinwegzutrösten. Also blieben die Verfilmungen aus dem Westen - und als am vergangenen Wochenende Pierre Brice starb, wiederholte das Fernsehen »Winnetou«, man sah da auch den Indianer Weißer Rabe. Gespielt von: Gojko Mitic, Jahrgang 1940, Sportstudent. Der Sohn einer Bauernfamilie - der Vater war Partisan im Zweiten Weltkrieg - verdingte sich als Nebenverdienstler bei Wildwest-Filmen, Jugoslawiens Karst war in den Sechzigern das preiswerteste Amerika.

Dieser Brustkräftige im Nebenfach - bald darauf wurde er in der DDR zum Protagonisten einer großen Lebenslehre: Not macht erfinderisch. Besagte Not an Karl May schuf nämlich ab 1965 eine beeindruckende künstlerische Erfindung: die Indianerfilme der DEFA. Mitic verwandelte die beliebten »Sommerfilmtage« in Indianerfestspiele, als Osceola, Ulzana, Tecumseh, Chingachgook, Tokaitho. Der bodenständige Star und bescheidene Mittelpunktspieler wurde den Ostdeutschen Sendbote ihrer Abenteuerlust, zugleich erzählten diese Actionfilme vom Unterboden eines gütigen Internationalismus. Und sie bewiesen (»Die Söhne der Großen Bärin«), dass die DDR zum Beispiel mit Liselotte Welskopf-Henrich eine Autorin besaß, die spannende Romantik faszinierend mit kritischem Realismus verband. Der DEFA-Indianerfilm verkaufte keine Folklore, er erzählte fürs historische Bewusstsein, er war lieber etwas zu didaktisch und sozialhistorisch als zu reißerisch, und diese Filme durchzog - wie ihre westdeutschen Entsprechungen - eine romantische Sehnsucht nach harmonischen Welten.

Der Serbe, der DDR-Bürger wurde; der Deutsche, der Serbe blieb. Seine Mutter starb 1999, von Gram zermürbt - die Bomben auf ihr Land rissen ihr Wunden auf, als sei noch Zweiter Weltkrieg. Dieser NATO-Krieg gegen Jugoslawien hat auch Gojko Mitic verbittert - und bestätigt: Die Utopie vom einfachen Frieden, in vielen Filmerzählungen über den grausamen Kolonialismus so beseelt wie traurig beschworen - diese Utopie übersteigt jedes irdisch befristete Leben. Aber die Kunst holt, jeweils in Momenten, jede Ewigkeit ins Heute. Eine indianermutige Phantasie-Existenz für solche Momente: Gojko Mitic. Der in über tausend (!) Vorstellungen Nachfolger von Brice’ Winnetou bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg war. An diesem Sonnabend wird er 75 Jahre alt.

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