Steilvorlage aus Lüneburg

Der jüngste Richterspruch zur Unterrichtsverpflichtung von Lehrern in Niedersachsen kann bundesweit Folgen haben

  • Marco Hadem
  • Lesedauer: 3 Min.
Werden nun auch Lehrer in anderen Bundesländern gegen ihre Unterrichtsverpflichtung klagen? Ein Urteil zur Lehrerarbeit aus Niedersachsen ebnete den Weg dafür.

Ein Urteil des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes zur Arbeitszeit von Lehrern sorgt für Wirbel - über die Grenzen des Bundeslandes hinaus. Das Gericht in Lüneburg urteilte vor kurzem, die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung für Niedersachsens Gymnasiallehrer von 23,5 auf 24,5 Wochenstunden sei verfassungswidrig. Das Urteil stellt die rot-grüne Regierung in Hannover vor diverse Probleme. Aber auch außerhalb des Landes wird die noch ausstehende Begründung des 5. Senats mit Hochspannung erwartet - und insgeheim auch gefürchtet.

»Dieses Urteil hat eine grundsätzliche Bedeutung auch für andere Länder«, sagt Anke Pörksen, Sprecherin der vor Gericht unterlegenen niedersächsischen Landesregierung. Sie spricht damit das an, was andere Landesregierungen bislang nicht aussprechen wollen: Der Richterspruch könnte zu einer Steilvorlage für Lehrer aller Länder sowie Schulformen werden und eine bundesweite Klagewelle nach sich ziehen. »Es ist durchaus möglich, dass jetzt auch Lehrer anderer Schulformen oder in anderen Bundesländern das Verhältnis zwischen Regelstundenzahl und außerunterrichtlicher Verpflichtung in ihrem konkreten Fall gerichtlich überprüfen lassen werden«, sagte der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes (dbb), Klaus Dauderstädt.

Auf den ersten Blick ist die überregionale Bedeutung des Urteils nicht unbedingt ersichtlich, immerhin bezieht es sich nur auf die Unterrichtsverpflichtung von rund 17 000 Lehrern in Niedersachsen. Doch obwohl der Richterspruch andere Bundesländer nicht direkt bindet, könnten sich dennoch auch Lehrer außerhalb Niedersachsens darauf berufen und ihre Arbeitszeit infrage stellen.

Denn der Senat rügte die Landesregierung unter anderem dafür, dass es bislang keinerlei belastbare und nachvollziehbare Erfassung der Arbeitsbelastung der Lehrer gibt. Diese Kritik wäre - so die Befürchtung einiger Juristen - bundesweit übertragbar auf Lehrer anderer Schulformen, die ihre Unterrichtsverpflichtung überprüfen lassen wollen.

Welche Folgen sich aus dem Urteil für ein Bundesland ergeben können, zeigten die Tage und Wochen seit dem Richterspruch am 9. Juni in Hannover: Die vor Gericht vom Land verlorene und von den Lehrern gewonnene Unterrichtsstunde reißt ein Millionenloch in den ohnehin angespannten Haushalt. Rund 740 Lehrerstellen sind zur Kompensierung erforderlich, aber - wenn überhaupt - nur perspektivisch in Sicht. Alleine in diesem Jahr schlägt das mit mehr als 13 Millionen Euro zu Buche. Und es ist Eile geboten, denn das Überstundenkonto der Lehrer wächst rasant an: Schon bis zum Ende des Schuljahres sind es 680 000 Schulstunden zusätzlich. Eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ließen die Lüneburger Richter in ihrem Urteil ausdrücklich nicht zu. Einzig eine Beschwerde ist damit rein theoretisch noch möglich.

Doch die rot-grüne Landesregierung hat sich dagegen entschieden. »Dieses Urteil hat uns wirklich überrascht«, sagte Regierungschef Stephan Weil (SPD) der in Hannover erscheinenden »Neuen Presse«. Die Regierung werde es aber akzeptieren. Kritiker vermuten dahinter einzig die Sorge vor einer weiteren Niederlage und zusätzlichem Ärger mit den Lehrern.

Juristen - auch aus der niedersächsischen Landesregierung - sehen es dagegen durchaus kritisch, dass das Land nicht wenigstens den Versuch unternimmt, gegen das Urteil vorzugehen. Immerhin verhindert die Regierung in Hannover damit eine Grundsatzentscheidung, die bundesweit für mehr Klarheit und letztlich auch Rechtssicherheit sorgen könnte. Ob auch die anderen Länder nun Klagen befürchten - zu dieser Frage wiegelt man dort aus Angst vor Konsequenzen vor der eigenen Haustür ab. »Es sei ein Urteil aus und für Niedersachsen«, heißt es etwa vom Bildungsministerium in Schleswig-Holstein.

Dass dies die Betroffenen, die Lehrer, anders sehen, zeigt sich aber am Beispiel Baden-Württemberg: Sollte die Unterrichtsverpflichtung dort - wie in der Vergangenheit bereits mehrfach geschehen - wieder erhöht werden, hätten klagende Lehrer gute Chancen, sagt der Chef des dortigen Beamtenbundes, Volker Stich. Genauso fing es vor Monaten in Niedersachsen auch an. dpa/nd

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