Im Osten was Neues

Mit den DDR-Landtagswahlen im Herbst 1990 begann das bundesdeutsche Parteiensystem sich dauerhaft zu verändern

Das Wahljahr 1990 war im Osten ein glatter Durchmarsch der Helmut-Kohl-CDU. Unter dieser Oberfläche begann sich die PDS als dauerhafte politische Kraft zu etablieren.

Kann sich noch jemand an Alfred Gomolka erinnern? Oder an Gerd Gies? Oder an Josef Duchac? Nein? Die drei Herren waren die ersten Ministerpräsidenten der eben neu begründeten Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen im Herbst 1990. Vermutlich glaubten sie damals an den Beginn einer veritablen Karriere, an einen Eintrag in die Geschichtsbücher - geblieben ist von ihnen aber lediglich eine kleine historische Fußnote. Alle drei blieben aus unterschiedlichen Gründen nur kurze Zeit im Amt; die Neusortierung des politischen Personals im Osten Deutschlands drängte nicht nur altgediente DDR-Funktionäre von der Bühne, sondern auch Wende-Aufsteiger, die zuweilen nicht mehr waren als Eintagsfliegen.

Ohnehin waren die Landtagswahlen vom 14. Oktober 1990 in allen ostdeutschen Bundesländern außer Berlin zunächst kaum mehr als der Durchlauferhitzer für die gesamtdeutsche Bundestagwahl einige Wochen später. Die letzte DDR-Volkskammer hatte im Frühsommer die Abschaffung der Bezirke und die neue Länderstruktur beschlossen - eine strukturelle Vorleistung für den Beitritt zur Bundesrepublik. Eigentlich sollten die Länder sich mit den Wahlen am 14. Oktober konstituieren; der im Einheitsgalopp plötzlich auf den 3. Oktober vorgezogene Beitritt der DDR hatte zur Folge, dass die Ost-Länder damit schon existierten, aber noch keine Regierung hatten, sondern vorerst nur eine provisorische, von zehntausenden Westbeamten dominierte Verwaltung.

Politisch setzten die Landtagswahlen (Berlin folgte mit der Abgeordnetenhauswahl im Dezember) eine Entwicklung fort, die sich schon seit der letzten Volkskammerwahl im Frühjahr abgezeichnet hatte: den nahezu ungehinderten Durchmarsch der Konservativen. Ein Jahr nach dem Wendeherbst war der Osten schwarz - bis auf eine Ausnahme: Der weithin angesehene Kirchenmann Manfred Stolpe war zunächst der einzige Sozialdemokrat an der Spitze einer ostdeutschen Landesregierung. Ansonsten hatte die SPD dem omnipräsenten und mit unglaublichem Aufwand agierenden Helmut Kohl wenig entgegenzusetzen; alle Hoffnungen auf eine Wiederbelebung von früheren sozialdemokratischen Hochburgen in Sachsen und Thüringen platzten.

Und dennoch besteht die Hinterlassenschaft des Superwahljahres 1990 (Volkskammer-, Kommunal-, Landtags- und schließlich Bundestagwahlen) aus mehr als dem Triumph der schwarzen Wahlkampfmaschine. Das aus der Alt-Bundesrepublik überkommene Drei-, nach dem Erstarken der Grünen Vierparteiensystem wurde erweitert. Und zwar auf Dauer. Die PDS gelangte sicher, wenngleich geschwächt in alle Landtage. In Sachsen und Thüringen übrigens deutlich unter zehn Prozent. Nicht wenige glaubten damals, es handele sich um eine absterbende DDR-Resterampe. Aber nicht die PDS verabschiedete sich dann aus den Parlamenten Ost, sondern teils für längere Zeit FDP und Grüne. Für die oft ungeliebten SED-Erben dagegen wurden die ostdeutschen Kommunen und Länder zum Basiscamp für die Stabilisierung und bundesweite Entwicklung. Letztlich war das die Grundlage für Mehrheiten links des bürgerlichen Lagers. Der Bann der politischen Unberührbarkeit wurde schon 1994 mit der PDS-tolerierten rot-grünen Regierung in Magdeburg gebrochen; es sollte 25 Jahre dauern, bis ein Sozialist in eine Staatskanzlei einzog.

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