Griechenlands Stimme

Zum 90. Geburtstag des Sängers, Komponisten, Schriftstellers und Politikers Mikis Theodorakis

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Theo«, wie ihn Szenemusiker nennen, ist so populär in Griechenland wie vielleicht Tsipras und Varoufakis, deren Namen momentan in aller Munde sind, nur dass die Popularität des Komponisten viel älter ist als die ihrige und die Glutfülle seiner Musik der Zukunft gehört. Jedes jetzt geborene Baby in Athen wird, wenn es fünf Jahre alt ist, Musik von Mikis Theodorakis gehört haben und schätzen lernen. Das gehört sich dortzulande so. Denn wer anderes sonst als dieser alte Mann könnte der ihrige sein? Außerdem ist da ein Film mit Anthony Quinn, »Alexis Sorbas«. Wer kennt den Streifen nicht? Dessen ins Blut der Backen und Beine schießender Sirtaki-Tanz hat der seinerzeit junge Komponist komponiert und ist damit in aller Welt berühmt geworden.

Mitten in jener Woche, als das OXI der Griechen wider die Erpressung und den Souveränitätsdiebstahl die Herzen höher schlagen ließ, fand unerwartet ein Konzert statt. Im Athener Herodes-Attikus mit dem Staatsorchester. An dem Abend hörten fünfeinhalbtausend begeistert mitgehende Menschen Theodorakis’ Erste Sinfonie, mitten im Bürgerkrieg 1948/ 49 komponiert, und »Axion Esti« (Lobgepriesen sei) von 1960. »Es ist ihre eigene Musik, eine Offensive, eine poetische Befreiung aus dem Würgegriff ›Brüssels‹ und der griechischen Politik«, kommentierte der Musikproduzent und Filmemacher Asteris Kutulas die Reaktionen im Publikum.

Thodorakis, der weißhaarige Komponist, im Rollstuhl fahrend, mit blauem Hemd und dunkler großer Sonnenbrille, hatte die ihn empfangenden Leute hochgerissen. Welch eine Popularität? Jenes NEIN seines Volkes will er ernst genommen wissen: »Das Nein muss ein Nein zu allen Vereinbarungen sein, die dem Volk weitere Lasten aufbürden«, betont er.

Mikis Theodorakis, kommunistischer Künstler, gilt allgemein als die nationale Stimme Griechenlands. Ihr vertrauen Unzählige, weil sie wahr und warmblütig ist, weil sie aus tiefstem Herzen spricht. Seine Musik, durchtränkt mit Volksklängen, ist schlechthin redendes Prinzip der Bedrängten, Gedemütigten, der von Not und Unrecht Geplagten. In anderer Art weiß die Musik schallend sich zu freuen und zu lachen und zu tanzen. In Theodorakis’ politischen Werken wiederum drücken sich Triumph und unbändige Trauer aus.

Wem gilt die Trauer? Sie gilt den im Widerstand gegen die deutschen und griechischen Faschisten Gefallenen (»Axion Esti«), dem ferngelenkten Umsturz der Hoffnung in Chile 1973 (»Canto General«). Trauer gilt den in Kriegen leidenden und sterbenden Kindern (Liturgie Nr. 2, komponiert für den Dresdner Kreuzchor), Mitleid gilt denen, welche im täglichen Überlebenskampf unentwegt den Stiefel abbekommen, jenen Ärmsten unter den Armen, denen kaum erlaubt wird, die Bananenschale aus dem Kübel zu fischen. Was wäre, wenn nicht das Gebot der Liebe und der Hoffnung musikalisch fest verankert wäre. Brecht dichtete: »Aber das Mitleid der Unterdrückten mit den Unterdrückten ist unentbehrlich. Es ist die Hoffnung der Welt.«

Der heute Neunzigjährige, unverbesserlicher Agitator, Dissident, Partisan, politisiert bis in die letzten Zellen, ist, das darf guten Gewissens gesagt werden, wahrlich eine universale Figur. Progressiven Häusern des Globus ist sie bekannt. Des Komponisten solidarische Haltung wurde und wird gebraucht. Dass er der steigenden Wut der Zerstörer der Welt Bilder einer besseren entgegenhält, verschafft ihm ungebrochen Sympathien.

Das Wichtigste jedoch ist: Seine Musik wird geliebt. Warum? Weil er, besagten Sirtaki aus »Alexis Sorbas« unzählige Male weiterkomponiert hat. In Variationen geht dies Bündel ansteigender Leidenschaft durch bald alle seine Stücke, oder es schleicht sich durch sie hindurch, oder es regt sich plötzlich, schießt auf und fällt, verschwindet, um nächsten Ereignissen Platz zu machen. »Axion esti« ist eine unendlich traurig komponierte Widerstandsgeschichte. Sie erzählt von des Meisters Partisanenkampf. Insistierende Sologesänge kreuzen sich kontrapunktisch vor chorischer Fassade. Bisweilen schallt Sprechgesang mit einer Gewalt heraus, wie sie den motorischen Chören Dessaus oder Henzes ähnlich ist. Bei Liturgi Nr. 2 entsteht der Eindruck, als hätte sich Theodorakis dem deutschen Barock und der klassischen Wiener Chortradition verschrieben. Die Soprane klingen bewusst angelegt wie Kinderstimmen. Chorsätze der einfühlsamsten Art klingen manchmal wie Heinrich Schütz. Zornige Choräle indes drücken ungeläutert, bildkräftig das »dona nobis pacem« aus, das über dem ganzen Stück stehen könnte. Wie in »Axion esti« weiß Theodorakis, worüber er komponiert. Wenn eine Melancholie in solchen Werken aufklingt, ist es eine stolze Traurigkeit.

Die Großwerke sind allesamt in der DDR aufgeführt worden. Häufig genug war der Komponist selbst anwesend und dirigierte eigene Arbeiten. Das große »Canto General« nach Neruda - es ging 1973 durch Länder Südamerikas - konnte in Chile wegen des 11. September (Sturz Allendes) dort nicht aufgeführt werden. 1980 kam das Oratorium im Palast der Republik in der Hauptstadt der DDR vor einer begeisterten Menge zur Aufführung. Die Proben wurden im Funkhaus Nalepastraße abgehalten. Allein diese Proben waren ein Ereignis für sich. Das Label edel classics gab in mehreren Schüben CDs mit Theodorakis-Aufführungen in der DDR heraus, ursprünglich Produkte von Eterna (VEB Deutsche Schallplatten).

Die Mainzer Firma wergo steuerte jetzt zum »Neunzigsten« gleichfalls eine Platte mit Liedern des Meisters bei. Sie versammelt fast durchweg Elegien, späte Lieder, so traurig, dass man sie, um Mut und Kraft zu schöpfen, immer wieder hören kann.

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