Willkommen in der illegalen Ferienbutze
17 000 Wohnungen werden ohne Anmeldung vermietet
Der Mann spricht wie Günter Grass. Nicht nur stimmlich, auch vom Duktus her kommt Niko Härting ebenso entschlossen und unbeirrbar rüber wie der verstorbene Literat. Und wie der donnernde Danziger sagte auch der resolute Rechtsanwalt, was aus seiner Sicht gesagt werden muss: »Das Datenschutzrecht«, formulierte er am Donnerstag im Rathaus Wedding, »spielt hier überhaupt keine Rolle, weil es nicht um personenbezogene Daten, sondern um Sachdaten geht.«
Eigentlich lehnen die Datenschutzbeauftragten des Landes und des Bezirks Mitte die Erhebung von online angebotenen Ferienwohnungen in Berlin, von der hier die Rede sein sollte, grundsätzlich ab. Ihnen fehlt eine gesetzliche Ermächtigung ebenso wie ein konkreter Anfangsverdacht, um sämtliche Daten zu im Internet für Berlin angebotenen Ferienwohnungen zu erheben. Mittes Sozialstadtrat Stephan von Dassel (Grüne) erschien das überhaupt nicht plausibel.
Darum beauftragte er Härting, für knapp 5500 Euro ein Rechtsgutachten anzufertigen. Und der lieferte das gewünschte Resultat. Also legte die angefragte Firma los und durchsuchte 15 Online-Portale. Dabei ermittelte sie stadtweit 23 103 Ferienwohnungen. Als Dassel die Resultate dieser 6500 Euro teuren Erhebung nach dem Statement seines juristischen Mitstreiters vorstellte, ließ er über seine bedeutungsschwere Körpersprache durchblicken, welch ein Coup ihm da gelungen ist: »Amtlich genehmigt sind in Berlin nur 5682 Ferienwohnungen. Das heißt, wir haben dreimal so viele Angebote wie Genehmigungen. Etwa 17 000 Ferienwohnungen verstoßen damit gegen das Zweckentfremdungsverbotsgesetz.«
Seit Mai 2014 versucht der Senat mit diesem Gesetz, dringend benötigten Wohnraum über länger leer stehende oder gewerblich genutzte Räumlichkeiten zu gewinnen. Offenbar vergeblich: Allein im Bezirk Mitte seien 4866 illegal offerierte Ferienwohnungen entdeckt worden. »Stünden diese Wohnungen dem regulären Markt zur Verfügung«, ergänzte Dassel, »dann müsste es in Mitte keine Obdachlosen geben und allen Flüchtlingen wäre es möglich, eine angemessene Unterkunft zu finden«.
Nach einer kurzen Denkpause fielen dem Grünen-Poltiker anscheinend die horrenden Mieten seines Bezirks ein, so dass er den wichtigen Zusatz nachschob: »Das gilt natürlich nur rein rechnerisch!« Dennoch sei der Umfang der gefundenen Feriendomizile weit größer als erwartet. Da die beauftragte Firma schätzt, 95 Prozent aller Online-Angebote erfasst zu haben, sei die Zahl belastbar, so Dassel.
Eine exakte Aufschlüsselung für die elf anderen Bezirke könne er noch nicht präsentieren, weil manche Adressen nicht eindeutig identifizierbar seien: »Die Geodatenauswertung wird noch bis Anfang September dauern.« Dann will Dassel den Bezirken die für sie relevanten Daten zur Verfügung stellen.
Was die damit anfangen, müssten sie selbst entscheiden. Dassel habe sich für seinen Bezirk entschlossen, »dass wir alle Daten überprüfen und die entsprechenden Betreiber bei Überführung mit Bußgeldern belegen werden«. Das bestehende Gesetz gewährt hierfür einen Spielraum von bis zu 50 000 Euro. Priorität genössen »die großen Fische im Teich«, wie Dassel jene nennt, die mehrere Wohnungen illegal anbieten.
Seine Angebote jetzt schnell zu deaktivieren, schloss Dassel seinen Vortrag lächelnd, sei sinnlos: »Die Daten haben wir ja gespeichert.« Wer sich jedoch von selbst melde, dürfe mit einer deutlich geringeren Strafe rechnen.
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