Nicht nur träumen, einfach sein!
Die »Rocky Horror Show« lässt den Admiralspalast ausflippen
Diese Show ist ein Phänomen in mehrerlei Hinsicht. Die »Rocky Horror Show«, auf einer winzigen Experimentierbühne mit 63 Plätzen 1973 uraufgeführt und vom Ursprungsland Australien seither zu einem beispiellosen, schon über 40 Jahre währenden Siegeszug um den Globus aufgebrochen, ist ein Mix aus Musical, Rockkonzert, Glamourshow und Transvestitenspektakel. Was sich der Schauspieler Richard O’Brien als Autor von Buch, Musik und Texten ausgedacht hat, setzt gleichsam dem Genre Horrorfilm ein Denkmal und wartet am Ende mit einer echten Botschaft auf. So ist die »Rocky Horror Show« ein Übermusical für alle, die anders sind oder es gern wären, eine Lektion auch in Toleranz, dass es jenseits der »normalen« Wege noch andere lohnenswert zu beschreitende Pfade gibt. Und letztlich ist O’Briens Wurf Aufschrei und Initiationsritus in einer Ära, in der Prüderie nicht bloß die USA prägte und der Vietnam-Krieg die ganze Welt empörte.
In Neuinszenierung von Sam Buntrock und sexy Choreografie des einstigen Merce-Cunningham-Tänzers Matthew Mohr, mit David Farleys schrillen Kostümen und David Howes gleißendem Licht bietet die »Rocky Horror Show« derzeit im Admiralspalast jedem Gelegenheit, sich als Altfan zu outen oder als Frischling der Gemeinde einzugliedern. Was immer auf der Bühne passiert, wird traditionsgemäß vom Saal lautstark kommentiert und sehr aktiv mitgestaltet: Wasserpistolen spritzen, Papierrollen fliegen, Konfetti rieselt, Spielkarten werden geworfen, bunte Lichter geschwenkt.
Und das alles, weil das frisch verlobte Paar Brad und Janet einen alten Lehrer besuchen will. Eine Autopanne bei Blitz, Donner, Regenguss nötigt sie, in einem düsteren Schloss um Zuflucht zu bitten. Dort bereitet Meister Frank’n’Furter, lüsterne Drag Queen und maßloser Doktor Frankenstein, eine wüste Party vor, als sei sie speziell für seine biederen Gäste gedacht. Denen wird angesichts der Feten-Entourage ängstlich zumute. Höhepunkt der Zeremonie ist Frank’n’Furters Kreation eines neuen Lovers aus der Retorte, den er heiratet und für den er zuvor rasch den alten meuchelt. Das Kunstprodukt Rocky, ein blonder Gold-Body, verwirrt nicht nur des Meisters Sinne. Weil Brad und Janet, gewaltsam entkleidet, selbst halbnackt nichts miteinander anzufangen wissen, erteilt ihnen der Meister handgreiflichen Liebesunterricht. Das löst innere Verklemmungen, führt aber auch zu Eifersüchteleien. Am Ende hat jeder der zwei zu sich gefunden, beide jedoch, so ist das Leben, nicht zusammen: Janet merkt, dass sie auf Männer mit Rocky-Muskeln steht, Brad streift sich Strapse und Mieder über und strebt einem anderen Ufer entgegen. Frank’n’Furter aber, eigentlich Initiator der Selbstfindung seiner Gäste, und Rocky haben ihre Mission erfüllt, sterben im Kuss und werden in die Galaxie zurückgelasert.
Was harmlos klingt, ist freilich in den harten Rocksound der Live-Band verpackt, kulminiert im Mitsingtitel vom Time Warf und wartet auch mit klangvollen Balladen auf, etwa wenn Brad seinen Schmerz heraussingt, Columbia aus des Meisters Gefolge ihre Liebe zu ihm gesteht, Frank’n’Furter sein Ende nahen fühlt. Dass sich die dringliche Aufforderung »Don’t dream it, be it« bei aller Bizarrerie des Geschehens, allen Dezibel der Rockattacken durchsetzt, ist nicht zuletzt einer vorzüglichen Darstellermannschaft zu danken, »Rocky Horror«-erprobt viele und insofern eine Wiederbegegnung nach dem Gastspiel 2008. Rob Fowler als Frank’n’Furter beherrscht den Seufzgestus der Drag Queen ebenso wie die harte Rockpose; Harriet Bunton und David Ribi als Paar verlieren spielerisch überzeugend ihre Unschuld; Vincent Grays Rocky ist eine very smarte männliche Coppelia in Glitzerhose. Stimmlich sind sie ohnehin allesamt großartig, auch Stuart Matthew Price als Riff Raff, die toughe Magenta der Maria Franzén, die quieckende Columbia der Hannah Cadec. Ein grelles Kultspektakel mit leisem Hintersinn.
Bis 16.8., Admiralspalast, Friedrichstraße 101, Kartentelefon 01805-2001, www.rocky-horror-show.de
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