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Schöne Lügen und wahre Geschichten

Vor 50 Jahren begann der Siegeszug des Musicals »The Sound of Music« - das hierzulande kaum jemand kennt

  • Lilian-Astrid Geese
  • Lesedauer: 7 Min.
Es ist kein politischer Film, den Hollywood 1965 über die musikalische »Trapp Family« drehte, die vor Hitler geflohen war und in Amerika Karriere machte. Aber in Deutschland und Österreich stieß er auf Ablehnung.

Wir wollen die wahre Geschichte erzählen», betont Christopher Unterkofler und beginnt die tägliche Führung durch das Haus in Salzburg-Aigen, in der die berühmte «Trapp Family» lebte, bevor sie 1938 nach Amerika auswanderte. Heinrich Himmler requirierte die Villa Trapp 1940, Hildebrand Gurlitt versilberte dort Beutekunst. 1953 erwarben sie die «Missionare vom kostbaren Blut», denen Georg von Trapp das Anwesen mit dem großen Park 1939 schon einmal zur Miete überlassen hatte. Seit 2008 wird es von einem privaten Pächter als Hotel betrieben.

«Ich erzähle Ihnen die wahre Geschichte», sagt auch Natascha, die für die Salzburger Firma Panorama Tours übers Jahr Tausende von Touristen aus aller Welt - vor allem aus Amerika - an die Drehorte des Films begleitet, der durch die Geschichte der von Trapps inspiriert zu einer der bis heute erfolgreichsten Kinoproduktionen wurde. 500 bis 600 Menschen pro Tag buchen zur Saison zwischen Mai und Oktober die Rundfahrt, die nur englischsprachig angeboten wird. Auf Deutsch, so erklärt mir Otto Rieger, der Busfahrer, funktioniere das nicht: «Da merken die Leute, dass es ja doch nur Lug und Trug ist.»

Salzburg feiert in diesem Jahr den fünfzigsten Geburtstag von «The Sound of Music» («Meine Lieder - meine Träume» in der deutsch synchronisierten Fassung), ein Märchen «made in Hollywood», das in den englischsprachigen Ländern dieser Erde zum generationenübergreifenden Hit wurde, und das in Deutschland (und Österreich) kaum einer kennt. Nur wenige hier können mit «Do-Re-Mi», «My Favorite Things», «The Lonely Goatherd» oder den deutschen Versionen der zu Evergreens gewordenen Songs etwas anfangen, geschweige denn sie Wort für Wort mitsingen. Anders als die Besucher des Marionettentheaters, das eine zauberhafte Inszenierung des Musicals präsentiert, oder die Gäste der Panorama Tour, die echte Fans sind.

Neben dem Unterhaltungswert hat die Geschichte der von Trapps aber auch einen Realitätsbezug, der in den leidenschaftlichen Debatten über Details der Verfilmung und/oder Darstellung der Personen in der fiktiven, kommerzialisierten Version ihres Lebens weitgehend ausgeblendet bleibt: Es ist die Geschichte einer Flucht und eines Neuanfangs, und es ist eine Geschichte, die in den Ländern, in denen sie begann - Deutschland und Österreich - mehr oder weniger ignoriert oder vergessen wurde.

Sie beginnt (in der Realität) im kroatischen Pula, in der Zeit des Ersten Weltkriegs: Der hochdekorierte U-Boot-Kommandant der KuK-Marine Freiherr Georg von Trapp zieht nach dem Tod seiner ersten Frau mit seinen sieben Kindern nach Salzburg. Nach dem Verlust der österreichischen Küstenprovinzen arbeitslos geworden, versucht der Witwer seinen Kindern ein guter Vater zu sein - und eine neue Mutter zu finden. 1927, zwei Jahre nach dem Kauf der Villa Trapp, heiratet er Maria Kutschera, eine Novizin des Benediktinerklosters Nonnberg, die er als Hauslehrerin für eine seiner Töchter eingestellt hatte. Als die Bank, die das Vermögen der Familie verwaltet, Konkurs anmeldet, müssen die Trapps - mittlerweile mit neun Kindern - einige Zimmer ihres opulenten Domizils vermieten. Sie haben Glück: Eine Untermieterin, die Opernsängerin Lotte Lehmann, entdeckt das Talent der sangesfreudigen Familie und schon bald reist diese, als «Salzburger Kammerchor Trapp» mit einem Repertoire weitgehend sakraler Gesänge unter der Leitung des jungen Priesters Franz Wasner durch ganz Europa. Ein Engagement in den USA 1938 ist die Gelegenheit, das mittlerweile von Hitler besetzte Österreich für immer zu verlassen. Nach dem Ende ihrer Tournee bleiben die Trapps in Amerika. Ein zehntes Kind wird geboren. Bis zur Auflösung des Chores treten sie unter ihrem neuen Namen «The Trapp Family» auf und werden zu Weltstars. Die Nachfahren betreiben heute noch eine Fünf-Sterne-Lodge im Bundesstaat Vermont.

Den Grundstein für das zweite - fiktive - Leben der «Trapp Family» legt Maria von Trapp 1956 mit ihren Memoiren: «The Story of the Trapp Family Singers» erscheint in dem Jahr, in dem sich der Chor auflöst. Maria möchte verhindern, dass die Familie in Vergessenheit gerät. Hollywood ist sofort interessiert, doch sie lehnt alle Angebote ab. Sie will die Kontrolle über ihre Lebensgeschichte nicht aus der Hand geben. Für kleines Geld überlässt sie die Rechte schließlich dem deutschen Filmproduzenten Wolfgang Liebeneier, der mit Ruth Leuwerik und Hans Holt «Die Trapp Familie» dreht. Aus dem deutschen Film, der noch eine Fortsetzung unter dem Titel «Die Trapp Familie in Amerika» erhält, wird 1959 ein Broadway-Musical, und schließlich 1965 doch eine Hollywood-Produktion.

Der Film «The Sound of Music» hat bis heute mehr Geld eingespielt als «Vom Winde verweht» und wurde mit fünf Oscars - darunter für den besten Film und die beste Regie - ausgezeichnet. Sein Erfolg verdankt sich neben der Starbesetzung nicht zuletzt der eingängigen Musik der begnadeten Musical-Macher Richard Rodgers und Oscar Hammerstein: Ursprünglich gebeten, ein oder zwei Songs in Ergänzung zu Salzburger Volksliedern zu komponieren, die die Familie im Film singen würde, schlug das Erfolgsduo nämlich vor, einen eigenen Soundtrack zu schreiben.

«The Sound of Music» erzählt von einem eher grimmigen Baron (Christopher Plummer), der seine Kinder im militärischen Drill erzieht. Sie tragen Uniformen, üben sich im Ernst des Lebens. Gespielt oder gesungen wird nicht. Bis die freche Novizin Maria (Julie Andrews) als Gouvernante ins Haus kommt. Sie singt mit den Kindern, sie spielt, und sie gewinnt das Herz des Freiherrn, der sie schließlich heiratet. Eine Karriere als Familienchor bahnt sich an, als die Nazis Österreich besetzen. Georg von Trapp ist (österreichischer) Patriot. Er weigert sich, die Hakenkreuzflagge zu hissen und lehnt die Verpflichtung, als Kommandant eines deutschen U-Boots nach Bremerhaven zu gehen, ab. Es wird gefährlich für die von Trapps. Hitler duldet keinen Widerstand. Und so flieht die Familie in Nacht und Nebel über die Berge in die Schweiz.

Es ist keineswegs ein politischer Film, den Hollywood über das Leben der «Trapp Family» drehte. Der Verweis auf den «Anschluss», auf Hitler und Kollaborateure ist eher dezent. In die deutschen Kinos kam nur eine gekürzte Fassung, die Nazi-Szenen wurden rausgeschnitten. Offenbar wollte man so bald nach den Jahren der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft und dem Zweiten Weltkrieg hierzulande nicht daran erinnert werden, wer dieses Grauen zu verantworten hatte.

In Österreich, so interpretiert Hotelier Christopher Unterkofler die Reaktion, stieß der Film auf Ablehnung, weil man so kurz nach Kriegsende nicht schon wieder einer fremden Macht - dieses Mal den USA - die Deutungshoheit über die nationale Kultur überlassen wollte. Noch heute, so erzählt man sich in Salzburg, gäbe es Amerikaner, die glauben, «Edelweiß» (ein Lied aus dem Film) sei die österreichische Nationalhymne, und die Menschen dort äßen hauptsächlich «Schnitzel mit Nudeln» und «Apfelstrudel».

Das mag übertrieben sein, doch Fakt ist, dass die amerikanischen Filmfans den Pavillon im Garten der Villa sehen wollen, in dem Tochter Liesl (im wahren Leben Agathe) ihren Postboten Ralf (den es in Wirklichkeit nie gab) zum ersten Mal küsst, und den See hinterm Haus, auf dem Maria mit den Kindern kentert. Salzburg bemüht sich, ihren Wünschen zu entsprechen. Eine Replika des Pavillons steht heute im Park von Schloss Hellbrunn, um die Besucherströme in der Festspielmetropole auch an den Stadtrand zu locken; der See liegt hinter Schloss Leopoldskron, das filmische «Double» für die seeseitige Fassade des Hauses Trapp, da die echte Villa Trapp (deren «Rolle» im Film Schloss Frohnburg spielt) zwar an der Bahnlinie, nicht aber am See gebaut wurde. Die Hochzeitskirche befindet sich am idyllischen Mondsee, vierzig Kilometer außerhalb von Salzburg ... Schöne Lügen, wie schöne Geschichten, werden nun mal gern gehört.

Die erfundenen Episoden aus dem Leben der Familie von Trapp passen gut in unsere Reality-TV-Zeit, in der Wirklichkeit und Fiktion verschwimmen. Die Themen, die im Film rosagefärbt und mit Marshmallowgeschmack versüßt mit dem «Lied der Berge» anklingen - Heimat, Vertreibung, Widerstand, Familienbande, Vergangenheitsbewältigung, Nostalgie, Freiheit der Kunst und die verbindende Kraft der Musik - sind dabei interessant genug, um im Kino, im Theater, im Tourbus für Spannung - und Unterhaltung - zu sorgen.

Die Gäste der Villa Trapp logieren dort, weil es ein authentisches Stück Geschichte ist, das sie zu erleben hoffen, obwohl ihnen bewusst ist, dass es ein Spielfilm ist, keine Dokumentation, die sie nach Salzburg-Aigen führt. Am Ende ein sympathischer Widerspruch, unterlegt mit einem sehr schönen Soundtrack.

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