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Bedrohliche Lage für die Teetrinker

Immer mehr Briten ziehen Kaffee ihrem legendären Nationalgetränk vor

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Die britische Teetrinkernation ist in Gefahr. Die Verkaufsmengen gingen seit dem Jahr 2010 um 22 Prozent zurück.

Vor nicht mal 400 Jahren kamen die ersten Teeblätter nach England, durch niederländische Kaufleute, aus China mitgebracht. Dann ging alles recht schnell, insbesondere mit den kräftigeren Teesorten aus Indien und Ceylon: War Tee anfangs hoch versteuert, entsprechend teuer und folglich Labsal vor allem für Aristokraten, entwickelte er sich ab 18. Jahrhundert zum Massengetränk und sein Genuss auf der klassenbewussten Insel zu einer der wenigen Gewohnheiten, die Oben und Unten einte.

Tee ging den Briten in Fleisch und Blut über. Als Mut- und Muntermacher wurde er in allen Lagen getrunken. Als 1853 Windsor Castle in Flammen stand und rußiges Chaos das Zepter zu übernehmen drohte, ließ Queen Victoria erst mal Tee für alle kommen. »Für unsere Soldaten«, wusste Winston Churchill, »ist Tee wichtiger als Munition«, weshalb die Regierung im Ersten Weltkrieg vielerlei rationierte, sich aber nicht traute, das Gleiche mit Tee zu tun. Noch heute gibt es Arbeitsverträge, die Beschäftigten zwei Teepausen pro Arbeitstag zugesteht. Keine Nation weltweit, ausgenommen die Iren, trinkt mehr Tee als die Briten, und Lenny West, ein Mitarbeiter des British Council in Deutschland, sagte mir einmal: »Tee steckt in uns. Er ist eine Säule, die unser Land hochhält. Wer den Tee abschaffen wollte, müsste England abschaffen.« Sein Kollege Paul Bullard setzte noch einen drauf: »Kaffee ist eine Mode, Tee eine Kultur …«

Keine Ahnung, was die Zwei heuten sagen würden, wo so vieles ins Rutschen gekommen ist und den Tee nicht ausspart. Zwar ist der Teekonsum der Briten, wenn auch von hohem Niveau, seit geraumer Zeit rückläufig. Von sechs über vier auf drei Tassen pro Tag, im Durchschnitt. Doch erstmals beginnt es so auszusehen, als komme »englischer Tee«, also schwarzer Tee aus Indien, Sri Lanka oder Ostafrika, aus der Mode. Nach neuen Angaben von Mintel, Agentur für Verbrauchergewohnheiten, gingen die Einkäufe schwarzen Tees in den vergangenen fünf Jahren um 22 Prozent zurück.

Mintel erwartet für die Zukunft eine Fortsetzung dieses »Tea Tanic«-Trends und sieht als Gründe u. a. das Umschwenken vor allem jüngerer Semester auf Grünen und Kräutertees sowie steigende Preise im Gefolge der Klimaerwärmung. Hauptgrund für die schwindende Liebe zu einem scheinbar ewigen Heiligtum jedoch ist der Kaffee. »Im Gegensatz zum Tee«, schrieb der »Guardian« über den Niedergang, »ist Kaffee heute etwas Erstrebenswertes. Er ist die Rolex im Pappbecher«. Kaffee frisch gebrüht von einem Barista hinter seinen chromglänzenden, zischenden und Aroma verbreitenden Maschinen empfänden namentlich jüngere Leute anziehender als die von zu Hause gewohnte »nice cup of tea«.

Emma Clifford von Mintel hat jedoch Hoffnung für Teefreunde. Die Auswertung der Daten offenbare nämlich nicht nur weiter wachsendes Interesse an Grünen und Kräutertees, sondern auch fortbestehende Sympathie für schwarzen Tee - sofern er nicht im langweiligen Beutel daherkomme. Letzteres verurteilen britische Teekenner ohnehin als Ketzerei. Insofern erscheinen Prognosen über das Dahinscheiden der Teetrinkernation als verfrüht, auch wenn die Konjunktur eines Samuel Johnsons wohl vorüber sein dürfte. Der Lexikograph (1709-1784), der sein berühmtes »Dictionary of the English language« im Alleingang verfasste, gilt manchem bis heute als größter Teetrinker aller Zeiten. Von ihm heißt es, er habe im Haus einer Lady seine Tasse so oft zum Nachschenken gereicht, dass ihn die Dame nach der zweiunddreißigsten Tasse ermahnte: »Dr. Johnson, Sie trinken zu viel Tee!« Darauf er: »Madam, Sie werden anmaßend.«

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