Alles, was wir wollten, war Entjungferung
Das charmante Chansonpop-Duo Schnipo Schranke legt ein Konzeptalbum über die Liebe vor
Brauche Liebe, brauche Halt / Und einen, der mich knallt«, heißt es in dem schönen Lied »Pisse«, das im Internet die Runde gemacht hat und dort auf viel Wohlwollen gestoßen ist. Außer bei der Videoplattform Youtube, die das zugehörige Filmchen gelöscht hat, weil darin ein Penis zu sehen ist. In einem anderen Song wird folgende Feststellung gemacht: »Dich als Freund zu haben, ist echt eine Qual / Doch ich bin leider ein Arsch, deshalb habe ich keine Wahl.« Ja, richtig geraten, das Duo Schnipo Schranke singt über die Liebe. Nur eben ganz anders als Helene Fischer. Nicht so aseptisch und nicht im Plastikstil des zu Tode konfektionierten Einheitspops, sondern aufrichtig, lebensbejahend und sich Vers für Vers weiter von gängigen Klischees entfernend.
Weitere zentrale Themen sind (in dieser Reihenfolge) Sex (»Wir war’n crazy, wir war’n jung / Und alles, was wir wollten, war Entjungferung«) und Tod (»Ich küss dich tot / Trotz offiziellem Mordverbot«).
Das Hamburger Duo, bestehend aus den beiden ehemaligen Musikstudentinnen Daniela Reis und Fritzi Ernst (Cello/Blockflöte), hat dem Magazin »Intro« dankenswerterweise erzählt, wo es herkommt: »Geboren wurden wir Zimmer an Zimmer im Puff von Paris. Es dauerte dann aber noch gute sechzehn Jahre, bis wir uns in der Kirche auf dem Klo beim Taggen kennengelernt haben.« Das ist zweifelsohne eine gute Antwort auf die Frage nach der Herkunft. Vielleicht ist der deutschsprachige Pop ja doch nicht tot.
Das »Liebe-Geht-Durch-Alle-Körperöffnungen-Duo« (»Missy Magazine«), bestehend aus »zwei Frauen, die von Scheiße, Pisse, Kotze, Sackhaar und Love singen« (Linus Volkmann), scheint manchen zu verstören, ganz so, als hätte es noch nie zuvor Künstlerinnen gegeben, die sich unverlogen und kritisch mit Körper, Geschlecht und Sexualität beschäftigt oder hierzu Originelles geschaffen haben. Andererseits: Betrachtet man den derzeit beängstigend besenreinen und glatten Popbetrieb, der zumeist entweder langweilt mit der Neuauflage der immergleichen ermüdenden Dudelfunkware oder Provokation und Unangepasstheit stets nur simuliert, möchte man auf die Knie fallen vor Dankbarkeit, dass es Schnipo Schranke gibt mit ihrer Mischung aus Niedlichkeit, Sozialrealismus und Sarkasmus.
Ted Gaier von den Goldenen Zitronen hat das Debütalbum der beiden Musikerinnen produziert. Der Musikjournalist Volkmann hält die zwei für die »hiesige Indie-Sensation des Jahres«. Und auch der Autor Christoph Twickel ist der Ansicht, »dass hier etwas Seltsames von großer Schönheit anrollt«. Recht haben sie. Der Bandname Schnipo Schranke leitet sich im Übrigen ab von »Schnitzel mit Pommes, Ketchup und Mayonnaise«.
Schnipo Schranke: »Satt« (Buback)
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