Das Narrativ Buchenwald

Philipp Neumann-Thein über den Streit um das KZ auf dem Ettersberg

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gibt wohl keine bessere Metapher für den Versuch einstiger kommunistischer Häftlinge des KZ Buchenwald, die Geschichte des Lagers in ihrem Sinne zu verewigen, als ihren 1950 vorgelegten Vorschlag, den größten Teil des damals noch recht vollständig erhaltenen Lagers platt zu machen. Nur einige wenige Zeugnisses dieses Ortes sollten nach dem Willen von Walter Bartel erhalten bleiben: neben dem Torgebäude auch das Krematorium des Lagers, weil dort Ernst Thälmann ermordet worden ist. Bartel, Kommunist und ehemaliger Buchenwald-Häftling, war damals Vorsitzender des deutschen Buchenwald Komitees und damit eine zentrale Figur innerhalb der Strukturen, aus denen später das Internationale Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos werden sollte. Die Auswahl dessen was von Buchenwald erhalten bleiben sollte, schreibt Philipp Neumann-Thein, habe »auf eine nachträgliche Vereindeutigung der Lagerrealität« gezielt und »marginalisierte das Schicksal der Masse der Buchenwald-Häftlinge«. Und weiter: »Führende kommunistische Funktionshäftlinge und Mitglieder des Lagerwiderstandes prägten dem Ort damit nachträglich ihre Version der Buchenwald-Geschichte auf.«

70 Jahre nach der Befreiung offeriert der Historiker ein Buch über das Internationale Buchenwaldkomitee und seine Vorgänger. Er verweist darauf, dass die Geschichte des NS-Lagers nicht mit der Naziherrschaft endete und auch nicht enden wird, wenn die letzten Überlebenden gestorben sind. Die Erinnerung an die Vergangenheit Buchenwalds war und bleibt Gegenstand von historischen Debatten.

Der Autor, der in der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora arbeitet, zeigt, welch vielfältigen Herausforderungen jede Version der Geschichte Buchenwalds über Jahrzehnte hinweg ausgesetzt war. Er beginnt mit der Schilderung der Zustände im Lager am Ende des Zweiten Weltkrieges und konstatiert, dass die Lebenswirklichkeit der kommunistischen Funktionshäftlinge sich von jener der Mehrheit der Häftlinge unterschied. Dabei betont er, dass die Kommunisten in einem unauflösbaren Spannungsfeld standen: Einerseits konnten sie aus ihren Positionen heraus, die sie von der SS - als diszipliniert angesehen - zugewiesen bekamen, anderen Häftlingen helfen; andererseits gerieten sie dadurch auch in den Verdacht, sich zu unfreiwilligen Komplizen der Nazis zu machen.

Neumann-Thein befasst sich mit dem Streit um die »Selbstbefreiung« von Buchenwald und die »internationale Solidarität« im Lager als zentrale Stützpfeiler der kommunistischen Erinnerung, die nicht nur vom »Klassenfeind« und anderen Häftlingsgruppen, sondern durchaus auch von manchen Linken angezweifelt wurde. Neumann-Thein berichtet, dass selbst die Machthaber in Berlin und Moskau oftmals nicht einverstanden waren mit der Sicht der kommunistischen Häftlinge auf Buchenwald. Man fürchtete deren geschichtspolitische Eigenständigkeit könnte die sozialistische Staatsideologie untergraben. Nicht zufällig beispielsweise gerieten einige der kommunistischen Funktionshäftlinge nach dem Krieg in die Mühlen der stalinistischen Verfolgungen in Ländern des sowjetischen Machtbereichs. Unter anderem beschuldigte man sie, im KZ mit den Nazis gemeinsame Sache gemacht zu haben. Und so fanden sich einige ehemalige Buchenwalder bald wieder in Lagern, diesmal in sowjetischen.

Das Buch von Neumann-Thein sollte nicht zuvorderst als eine Organisationsgeschichte des Internationalen Buchenwaldkomitees, sondern als die Geschichte eines historischen Narrativs gelesen werden; auch von jenen, die den Urteilen des Autors nicht folgen wollen.

Philipp Neumann-Thein: Parteidisziplin und Eigenwilligkeit. Das Internationale Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos. Wallstein-Verlag, Göttingen. 629 S., geb., 39,90 €.

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