Die dunkle und die gelbe Sonne

»DYNAAAMO!« von der Dresdner Bürgerbühne

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.
Radikale Liebe, die sich manchmal radikal dreckig zeigt: »DYNAAAMO!« von der Dresdner Bürgerbühne mit und über die Fans von Dynamo Dresden. Theater über ein Stadtheiligtum und was das über die Stadtgesellschaft zeigt.

Eine schlichte schwarz gestrichene Tribüne, gelb ausgeleuchtet, mehr braucht es als Kulisse im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden an diesem Abend nicht. Ein Stehplatzblock eines Fußballstadions liegt den Zuschauern gegenüber - bis zu 19 Dynamofans werden ihn im Laufe des Premierenabends füllen. Ein Ort, bestens geeignet, um zu singen, zu schreien, zu feiern und zu leiden. Das müssen die Akteure nicht spielen, wenn sie sich durch die wechselhafte Geschichte ihres Klubs spielen: Sie sind selbst Anhängerinnen und Anhänger der Sportgemeinschaft Dynamo Dresden. In Kooperation mit dem Verein hat das Ensemble der Fans sich vier Monate durch die Vereinsgeschichte gewühlt, Geschichten gesammelt, geprobt - es ist ein spielstarkes Ensemble geworden, das die Texte des fußballaffinen Regisseurs Thomas Freyer auf die Bühne bringt. Der hat den Texten der Fans Form und Struktur verliehen, ohne deren Originalität zu planieren.

Dynamo, das ist für die einen das wichtigste Stadtheiligtum, neben dem höchstens noch die Frauenkirche bestehen kann - für die anderen die »hässliche Fratze des Fußballs«. Barocke Opulenz des Spielerischen in den Siebzigern mit Meisterschaften und Europapokalfesten - und ständiger Überlebenskampf nach der Wende. Radikale Liebe, die sich manchmal radikal dreckig zeigt. Für viele die größte Konstante im Leben nach 1989 - Staat weg, Arbeit weg, Dynamo, wenn auch manchmal geradeso, bleibt. »Also. Das muss bleiben. Dynamo. Das war immer da«, heißt es von einem der Vier, die jeweils einen Charakter spielen - das Wechselsprechen dynamisiert die Texte, die sonst Gefahr liefen, zu monologisierend à la »Weißt du noch ...,« daherzukommen. Denn Geschichten von damals sind Vergewisserung, dass es ein Damals gab - in einem Land, das keiner derer auf der Bühne, die es erlebt haben, wirklich toll fand (»Drei Jahre Armee, um zu studieren!«), das man andererseits aber verstand. Und dann ging die Mauer auf, »Bundesliga, Dresden kommt!«, doch statt blühender Rasenlandschaften kamen Arbeitslosigkeit und der schleichende Absturz des nunmehr in einen schnöden 1. FC umbenannten Klubs in die Viertklassigkeit.

Dies allein wäre noch nicht viel mehr als der manchmal zur Verklärung neigende Blick auf einen Fußballverein. Der Anspruch der Bürgerbühne Dresden geht jedoch weiter, sie will sich auch in ihrem siebten Jahr mit den Themen der Stadtgesellschaft auseinandersetzen. Und dort entwickelt das Stück auch seine stärksten Momente: Die Fans stehen breitbeinig und mit verschränkten Armen frontal zum Publikum. Nach kurzem Schweigen: »Wir sind das asoziale Pack«: Ihr da draußen, die Medien, ihr vom DFB, ihr anderen; wenn ihr uns das Label vom arbeitsscheuen Nazi-Ossi anheftet - dann geben wir euch das doppelt zurück und liefern euch noch eine tolle Pyro-Show dazu. Das unterirdische Image der Dynamofans ist nicht zu korrigieren, dann provozieren wir doch lieber weiter: »Berlin, Berlin, Juden Berlin!« Für die allermeisten Fans ist das nicht mehr als das: Provokation auf die geschmackloseste Spitze getrieben (der Chor der Fans: »Och nee, nur ein kleiner Spaß! Wir sind doch im Stadion und nicht auf der Rednertribüne«). Für einen kleinen Teil der Fanszene, der sich mit der rechten Szene und Pegida überschneidet, ist diese Haltung aber ein wunderbarer Schutzraum - denn das Gefühl um eine glorreiche Vergangenheit, um die man von finsteren, undurchschaubaren Mächten betrogen wurde, ist den meisten Dynamofans nicht fern. »Wir haben genug verloren in unserem kurzen Leben!«, die Stimme derer, die sich zu kurz gekommen fühlen. Einige spazieren dann jeden Montag auch mit Dynamoschal durch die barocke Pracht von Elbflorenz, die ebenfalls Versuch ist, die Vergangenheit in die Gegenwart zu retten, um gegen die Veränderungen im Leben überhaupt zu protestieren (sie nennen es »Islamisierung«). »Da gibt es noch viele, die glauben, dass sie hier die Opfer sind.«

Die Masse der Fans kann auch ein rohes Tier sein, nach »Blut, Blut!« schreien und auf der Bühne einen Scheinwerfer zerschlagen. Dynamos Sonne strahlt nicht nur gelb, sie hat auch eine sehr dunkle Seite. »DYNAAAMO!« ist eindeutig auf der hellen Seite zu finden - die Laienschauspieler agieren mit nicht überraschender Leidenschaft, überraschen dafür mit präzisem Spiel, das an manchen Stellen fast an der Laienschaft zweifeln lässt: wenn ein gewaltsames Aufeinandertreffen mit den Schachtern (Fans von Wismut Aue) nachgespielt wird oder das Stück mittendrin in einen Volkshochschulkurs zur Typologie der Dresdner Stadionbesucher wechselt. Ohne in Klamauk abzudriften, ist das Volkstheater im besten Sinne mit Dialekt, Derbheit und diversen Running Gags. Die Bühne als Stehplatzblock und die Zuschauer mittendrin im »Dünaaamo!«-Universum.

Nächste Vorstellungen: 17.9. und 4.10.

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