Griechenland entscheidet. Immer noch

Ein paar vorläufige Überlegungen von Tom Strohschneider zum Wahlergebnis von SYRIZA, zum linken Lager und den alternativen Kräften in Europa

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.

I. Parlament und Gesellschaft

Der Wahlsieg von SYRIZA ist ein parlamentspolitischer Erfolg, die gesellschaftspolitischen Schattenseiten sind beträchtlich. Die historisch geringe Wahlbeteiligung weist auf eine zunehmende elektorale Ermüdung hin, die nicht allein deshalb ein Problem ist, weil gerade sozial verstandene Demokratie ein breites Fundament der Legitimation braucht. Mehr noch: SYRIZA hat in den vergangenen Monaten stets auf die Notwendigkeit eines »aktualisierten Mandats« bestanden, also darauf verwiesen, dass politische Kursänderungen oder von äußeren Zwängen abhängige Pfadwechsel durch Abstimmungen bestätigt werden müssen.

Parlamentspolitisch hat SYRIZA es gegen alle »Stimmungsmache mit Umfragen« und gegen die interessengeleitete Hoffnung vieler Kräfte geschafft, zu verhindern, dass das Projekt einer Linkspartei an der griechischen Regierung schnell beendet wird. Das ist der Kern des Erfolgs und es ist alles andere als belanglos, wer in Athen die Richtlinien der Politik bestimmt, gerade auch unter den einschnürenden Bedingungen des Gläubiger-Memorandums.

Gesellschaftspolitisch aber hat SYRIZA 15 Prozent Rückhalt eingebüßt, unter einer linksgeführten Koalition ist die Wahlenthaltung beschleunigt gewachsen – nachdem die Beteiligung im Januar, wegen SYRIZA, noch gegen den allgemeinen Trend seit Beginn der Krise gestiegen war.

II. SYRIZAs Herausforderung

Parteipolitisch steht SYRIZA nach den Wahlen weiterhin vor einer großen Herausforderung: Das Scheitern von Laiki Enotita an der Drei-Prozent-Hürde lässt zwar den von Panagiotis Lafazanis und anderen betriebenen Abtrennungsprozess zu deren Niederlage werden. Nicht alles, was innerhalb der Linkspartei am Kurs von Alexis Tsipras kritisiert wurde, ist deshalb aber falsch. Der bevorstehende Parteitag wird zwar einer ohne Linke Plattform sein, aber dieses »Minus« ist noch keine neue programmatische Klammer einer »neuen SYRIZA«.

Die Frage, wie die Kritik etwa der Gruppierung »53+« an Mängeln innerparteilicher Demokratie, an wirtschaftspolitischen Vorstellungen, an der unzureichenden klassenpolitischen Ausrichtung der Regierungspolitik sowie an der Strategie gegenüber den Gläubigern in einem »neuen Konsens« niederschlägt, ist noch nicht beantwortet. Hierin liegt übrigens auch angesichts der eher knappen zu erwartenden parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse ein politisches Moment: Auch in der neuen SYRIZA-Fraktion sitzen Abgeordnete, die einmal mit Nein gegen ihren Premier stimmen könnten.

III. Das linke Lager

Die sich selbst links von Tsipras und SYRIZA sehenden Kräfte haben von der krisenpolitischen Debatte kaum profitiert oder zu wenig mobilisierende Kraft für sich entfalten können. Dass Laiki Enotita es nicht einmal ins Parlament geschafft hat, wird am Ende entscheidender sein als die knapp 155 000 Stimmen, die die Partei auf sich vereinen konnte. Selbst wenn man zugesteht, dass die mediale (und auch selbstverschuldete) Verengung der »Volkseinheit«-Ziele auf die Rückkehr zur Drachme nicht dem ganzen programmatischen Angebot der Neugründung entspricht, ist am Ergebnis von Laiki Enotita deutlich geworden, dass eine Orientierung auf eine Politik des Bruchs mit dem bestehenden institutionellen Rahmen nur eine kleine Anhängerschaft hat.

Die kommunistische KKE, die sich sowohl gegen SYRIZA als auch gegen Laiki Enotita positioniert und praktisch außerhalb jeder Politik gestellt hat, verliert im allgemeinen Trend an Stimmen, bleibt aber prozentual auf dem Niveau der Januarwahl. Die antikapitalistische Antarsya gewinnt im Vergleich ein paar Tausend Stimmen hinzu. Von einem breiteren Lager links von SYRIZA kann aber nicht die Rede sein. Dies ist wohl auch die parteipolitische Entsprechung der Einschätzung, dass der Bewegungszyklus gegen die Krisenpolitik in Griechenland, der SYRIZA mit nach oben brachte, schon länger wieder beendet ist.

IV. Kein Ruck nach rechts

Auch wenn die Neonazipartei Chrysi Avgi abermals drittstärkste Kraft wird, zeigt sich doch, dass in Griechenland weder die im Brüsseler Diktat vom Juli zum Ausdruck gekommene vorläufige SYRIZA-Niederlage im Ringen mit den Gläubigern und dem von Berlin angeführten Europa der Austerität noch eine sehr geringe Wahlbeteiligung zu einem elektoralen Ausschlag nach rechts geführt haben. Es gab kleinere Zugewinne auf den auf Ägäis-Inseln. Aber insgesamt hat die »Goldene Morgenröte« rund 10.000 Stimmen verloren, andere rechtsradikale Kräfte sind schwach geblieben. Die in Griechenland weit drastischer als in der Bundesrepublik durchschlagende flüchtlingspolitische Krise spielte im Wahlkampf zwar eine Rolle, Anlass für eine massenhafte »Protestwahl« wurde sie aber nicht. Das heißt nicht, dass die Gefahr eines Nach-rechts-Ausschlagens der Mehrheitsverhältnisse wegen der Krisenpolitik schon gebannt ist.

V. Das »bürgerliche Lager«

Auch wenn viele Kommentatoren und Politiker in Europa lieber einen Sieg der Konservativen gesehen hätten, und auch wenn mit der Stilisierung des Nea-Dimokratia-Altkaders Evangelos Meimarakis als »neuer Mann« viel dafür getan wurde: Die demokratische Erschöpfung im »bürgerlichen Lager« ist mindestens ebenso groß. Die Konservativen verlieren fast 200 000 Stimmen, die liberale To Potami, noch vor einiger Zeit als linksliberal bezeichnet, sich aber immer deutlicher neoliberalen Positionen annähernd, ist der größte Verlierer unter den Kleinen: Sie büßt fast zwei Prozent und etwa 152 000 Stimmen ein.

Als Alternative wird der Kurs »Richtungskonstanz auf unveränderter Grundlage« von den Wählern also weder gesehen, wenn er von Vertretern des alten Regimes verfolgt wird, noch wenn sich eine politische Neugründung dafür stark macht. Das Lager des »Weiter so« entspricht einem Drittel der abgegebenen Stimmen, blickt man auf alle Wahlberechtigten liegt der Anteil bei nicht einmal einem Fünftel.

VI. Rückschritt verhindert

Bei der Wahl in Griechenland ist verhindert worden, dass das Lager der alten Eliten und der kapitalistischen Oligarchie wieder in Regierungsverantwortung kommt. Das ist alles andere als nichts. Die Herausforderungen für die Linkspartei um Alexis Tsipras sind aber größer denn je.

Das gilt erstens für das Versprechen, bei der Umsetzung der Gläubiger-Auflagen soziale und ökologische Spielräume auszuschöpfen bzw. neue zu erkämpfen sowie die immens wichtige Frage der Schuldenerleichterung gegenüber den Gläubigern durchzusetzen.

Das gilt zweitens für die in der deutschen Debatte nur wenig berücksichtigte aber zentrale Frage der Staatsreform in Griechenland – linke, sagen wir es so: sozialdemokratische Politik braucht Institutionen, braucht funktionierende Verwaltung.

SYRIZA wird drittens einen wirksameren Anlauf als bisher unternehmen müssen, das Verhältnis von Regierung und Bewegungen auf neue Grundlage zu stellen. Es hat dafür Ansätze gegeben, etwa was die Einbeziehung der Solidaritätsnetzwerke angeht. Diese wurden aber von dem alles überlagernden Konflikt mit den Gläubigern in den Schatten gestellt.

VII. Die Linken in Europa

Die Linke in Europa kann froh sein, dass SYRIZA unter schwierigen Bedingungen erneut wahlpolitisch erfolgreich war. Alles andere hätte den ohnehin nicht einfachen Prozess des Ringens um alternative Mehrheiten in anderen Ländern, vor allem in Spanien, Irland, Portugal, wo Wahlen anstehen, noch erheblich erschwert.

Es gilt am Tag nach der Wahl aber, was in selbstkritischer Betrachtung in einem der europäischen Solidaritätsappelle schon vor der Abstimmung gesagt wurde: Der Spielraum einer progressiven Regierung in Griechenland und damit die Möglichkeiten, von Athen ausgehend ein wirksames Moment politischer Veränderung auch europäischer Kräfteverhältnisse auszulösen, wird maßgeblich davon abhängen, ob und wie es den linken Kräften in anderen Ländern besser gelingt, Politik gegen Austerität zu machen und gegen das neoliberale Europa zu mobilisieren.

Die Diskussionen dazu sind unter dem Eindruck des griechischen Frühling bereits begonnen worden. Die Wahl vom Sonntag wird darauf nicht ohne Einfluss bleiben. Es gilt weiterhin: Griechenland entscheidet.

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