Beteiligung als Farce
Auseinandersetzung um Neubau von Steinkohlekraftwerk geht in die nächste Runde
Deutschland ist keine partizipationsfreie Zone: Bei jedem Großprojekt werden die Einwände von Anwohnern und Verbänden von der Obrigkeit angehört. Das gilt auch für das zweite planungsrechtliche Verfahren, das E.ons Steinkohlekraftwerk Datteln IV gerade durchläuft. E.on will das Kraftwerk, das eigentlich schon im Jahr 2011 ans Netz gehen sollte, endlich zu Ende bauen. Planungsfehler sollen juristisch geheilt werden, so wollen es die rot-grüne Landesregierung, das Ruhrparlament und auch die Mehrheit im Stadtrat Dattelns, die jeder auf seinem Gebiet den Weg frei machten für den »Plan B«. Für die Entscheidung zuständig ist die Bezirksregierung Münster.
Seit Montag nun dürfen die Gegner in der Stadthalle der Ruhrstadt Datteln ihre Einwände begründen. »Der Erörterungstermin ist ein bedeutender Meilenstein im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren«, freut sich E.on-Sprecher Adrian Schaffranietz. Der Konzern rechne damit, dass die Genehmigungen für Weiterbau und Betrieb des Kraftwerks noch in diesem Jahr erteilt würden. »Auf dieser Grundlage«, so Schaffranietz, »wollen wir Datteln IV innerhalb von zwei Jahren nach Erteilung der Genehmigung zu Ende bauen und in Betrieb nehmen.« In 94 Aktenordnern schildert der kriselnde Energieriese, warum Datteln IV Strom liefern sollte. Gut eine Milliarde Euro hat der Bau bisher gekostet.
1630 Seiten umfasst derweil die Stellungnahme des wichtigsten E.on-Gegners: Der Landesverband Nordrhein-Westfalen des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) hält das Kraftwerk für nicht genehmigungsfähig, es werde entweder nun endgültig gestoppt oder dauerhaft rote Zahlen schreiben. Geändert habe sich nicht viel im Gegensatz zur bisherigen »Fehlplanung«: Im Wesentlichen solle die gleiche Planung erörtert werden, die bereits einmal aus guten Gründen gescheitert sei, so BUND-Landesvize Thomas Krämerkämper. Die nun erfolgende Öffentlichkeitsbeteiligung hält der IT-Unternehmer für eine Farce: »Wesentliche Änderungen an der Planung waren von Beginn an politisch ausgeschlossen.«
1050 Megawatt elektrische Nettoleistung plus 380 Megawatt Fernwärme, aber auch 8,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr plus Gifte wie Quecksilber und Stickoxid und das auf Jahrzehnte hin - Datteln IV ist seit Jahren umstritten. 2007 wurde gerichtlicherseits ein erster, 2009 dann ein umfassender Baustopp verhängt wegen schwerer planungsrechtlicher Fehler. Anfang 2010 befand das Bundesverwaltungsgericht, der Bebauungsplan sei nichtig. Doch Datteln IV wird als industriepolitisch wichtig eingeschätzt und als hochmodern gepriesen, wobei mancher SPD-, CDU- oder FDP-Politiker fast so klingt, als wäre er E.ons Werbefigur.
Noch steht das Kraftwerk fast fertig gebaut am Dortmund-Ems-Kanal, gewiss verkehrsgünstig, aber rund fünf Kilometer entfernt vom ursprünglich genehmigten Standort. Kritiker sprechen auch deswegen von einem »Schwarzbau«. Ein Viertel des deutschen Bahnstroms sollte Datteln IV eigentlich liefern - wohlgemerkt bereits seit 2011.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.