Die Zeiten ändern sich
Um ein Haar wäre schon vor 58 Jahren die erste Chinesin zu Nobelehren gekommen: Chien-Shiung Wu, eine 1912 in Shanghai geborene Physikerin, die nach ihrem Studium an der Nationalen Universität in Nanjing in die USA ausgewandert war. 1944 wurde sie in das streng geheime Manhattan-Projekt zum Bau der US-Atombombe einbezogen und führte dort Arbeiten zur Isotopentrennung durch. Ab 1958 lehrte sie als Professorin an der Columbia University in New York.
Wu erforschte unter anderem den Betazerfall von Atomkernen, der durch die sogenannte schwache Wechselwirkung verursacht wird. Dabei wollte sie herausfinden, ob der Prozess der räumlichen Spiegelung den Verlauf subatomarer Reaktionen beeinflusst. Denn Tsung-Dao Lee und Chen Ning Yang, zwei ebenfalls in den USA arbeitende chinesische Physiker, hatten entgegen der herrschenden Lehrmeinung behauptet, dass eine Vertauschung von rechts und links bei der schwachen Wechselwirkung einen Unterschied mache. Kaum jemand hielt dies damals für möglich. Nicht so Wu. 1956 führte sie dazu am National Bureau of Standards ein Experiment durch, mit dem sie die Theorie ihrer Landsleute bestätigen konnte. 1957 erhielten Lee und Yang den Physik-Nobelpreis, Wu hingegen ging leer aus. Zwar wurde sie in den USA fortan respektvoll als »First Lady der Physik« bezeichnet und mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht. 1975 wählte man sie überdies als erste Frau zur Präsidentin der American Physical Society. Ob sie sich dennoch über den »verlorenen Nobelpreis« ärgerte, ließ sie im Dunkeln. Sie starb am 16. Februar 1997 mit 84 Jahren in New York.
Mit der Pharmakologin Youyou Tu ist es nun erstmals einer Frau aus China gelungen, einen wissenschaftlichen Nobelpreis zu erringen. Und anders als Wu musste Tu dafür weder in die USA noch sonst wohin auswandern. Sie studierte von 1951 bis 1955 an der Fakultät für Pharmazie der Medizinischen Universität Peking und ging danach ans Institute of Materia Medica der Chinesischen Akademie für traditionelle chinesische Medizin, wo sie zuletzt als Professorin lehrte. Mit ihrem Mann, einem ehemaligen Klassenkameraden, der sein Studium in der Sowjetunion absolvierte, lebt sie heute in Peking. Ebenso wie ihre jüngere Tochter. Ihre ältere Tochter arbeitet an der University of Cambridge in England. mak
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