Die Erotik des Zwiebelmusters

Friedrich Dieckmann hat sich, man glaubt es kaum, im Genre des Krimis versucht

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 4 Min.

Friedrich Dieckmann und Krimis - eigentlich passt das nicht zusammen. Aber was weiß ich denn, ob dieser ernste, höchst belesene und präzis formulierende Mann zum Ausgleich nicht gerne Krimis liest. So wie Stephan Hermlin ein Liebhaber von Boxkämpfen gewesen ist. Allerdings ist dieses Buch weniger auf Action bedacht, als im Genre üblich. Es fließt Blut, es gibt Verfolgungsjagden, aber davon wird berichtet in beschaulicher Atmosphäre.

Spannende Geschichten erzählen im Freundeskreis - ein probates literarisches Muster nicht erst seit Boccaccio. Die hier zusammenkommen, gehören zu der kleinen Schicht der Kunstliebhaber, allerdings nicht zu den reichen unter ihnen. Nach einer Ausstellungseröffnung in einer Stadt am Rhein sitzen sie in einer »Gastwirtschaft« zusammen, »die man nicht anders als altdeutsch bezeichnen konnte«. Ein angereister Journalist wollte noch in der Nacht die Rückfahrt antreten, um am Morgen wieder in der Redaktion zu sein. Daraus wird aber nichts, ja vielleicht hatte es George, der Älteste in der Runde, mit seiner spannenden Geschichte sogar darauf angelegt, den Jüngeren von diesem gefährlichen Unterfangen abzuhalten.

»Haben Sie auch einmal das Bizarre, das Unglaubliche erlebt, etwas, das sich nicht - oder nur mühsam und spät - auflösen ließ?« Diese Frage an George ist Friedrich Dieckmanns Ankündigung, dass sein Krimi aufs Geistige zielt - aufs Staunen und Bedenken. Der Ungeduld seiner Zuhörer zum Trotz wird die Geschichte an diesem Abend nicht einmal zu Ende gebracht; Monate später trifft man sich in Chemnitz wieder.

Der Leser fühlt sich bald in einer Atmosphäre, wie er sie von einem Krimi nicht erwartet hätte, von dem Essayisten Friedrich Dieckmann allerdings schon. Dass George während des Redentorefestes in Venedig eine Auseinandersetzung beobachtete, darin gipfelnd, dass zwei bewaffnete Chinesen von einer Frau ins Wasser geworfen wurden, hat ihn doch weniger erschreckt als dass es ihm Anlass zu Überlegungen gab. Er stellte Nachforschungen an, kam darauf, dass die Jagd einem Teller von 1720 galt. Der zeigte, in Kobaltmalerei, das berühmte Zwiebelmuster, genauer das chinesische Vorbild davon. Woraufhin wir in die Geschichte des Meißner Porzellans eintauchen, und ich etwas erfuhr, was mir nicht bewusst war, obwohl ich täglich Zwiebelmustergeschirr benutze: dass nämlich dieses Dekor eine Erotik birgt, die noch deutlicher zutage trat, als das Porzellan von Männern bemalt wurde, noch nicht von Frauen wie heute.

Lesend bewegt man sich nun auf zwei parallelen Wegen, wobei die Auseinandersetzungen um den wertvollen Teller bald hinter den essayistischen Einschüben zurücktreten, die man nicht als Ablenkung von der Handlung, sondern als Eigentliches empfindet. Außerordentlich interessant, von den »Triaden« zu lesen, Geheimgesellschaften, die sich einst aus Anhängern der Ming-Dynastie rekrutierten, um gegen die mandschurische Quing-Dynastie zu kämpfen, und die später im Opiumhandel der Briten eine große Rolle spielten. Wie sie heute agieren, wird nur angedeutet. Ausführlicher dargestellt ist die europäische und amerikanische Politik gegenüber China in Vergangenheit und Gegenwart. Die Seiten 52 bis 57, wo es unter anderem um die Studentenrevolte auf dem Platz des himmlischen Friedens geht, kann man durchaus als einen Höhepunkt des Buches bezeichnen.

Die Kunst war, solcherlei Reminiszenzen - von Goethe, Wagner bis zum Mauerbau - mit der Krimihandlung zu verbinden. Ohne Willkür wird dies in jenen Gesprächsrunden möglich, wo George durch Fragen zur Abschweifung wie auch zur Rückkehr auf die Handlungslinie des Verbrechens aufgefordert wird. Was bleibt? Die Lust an vorzüglichem Rotwein und die Neugier, auch selbst mal wieder auf einem Flohmarkt womöglich einen spektakulären Fund zu machen. Ein Mord ist geschehen, aber alle anderen im Buch scheinen glücklich geworden.

Dem Wohlgefallen an Dieckmanns Ausflug in ein ungewohntes Metier ist die Freude an den Zeichnungen Horst Hussels hinzugefügt, der auf seine Weise mit chinesischen Motiven spielte.

Friedrich Dieckmann: Blaumalerei. Kriminalgeschichte. Mit acht Zeichnungen von Horst Hussel und einem Nachwort von Jens-Fietje Dwars. Edition Ornament im Quartus Verlag. 86 S., br., 14,90 €.

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