Eine gefährliche Liaison

Im Kino: »Black Mass« von Scott Cooper

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach »Fluch der Karibik« dachte man, Johnny Depp könne nur noch Karikaturen spielen. Im Gangster-Drama »Black Mass« belehrt er uns, auch wenn man ihn kaum erkennt, eines besseren. Der Film enttäuscht trotzdem.

Die Konstellation kommt einem bekannt vor – aus der großen und aktuellen Politik: Um einen mächtigen Gangster (oder missliebigen Präsidenten) zu bekämpfen, unterstützen Interessierte dessen weniger mächtigen Feind. Die Strategie geht zunächst auf, der Gangster/Präsident gerät ins Wanken. Doch dann füllt der eigentlich zur Gangsterabwehr aufgebaute neue Gangster (absolut voraussehbar) das entstandene Gangstervakuum. Nun muss wiederum er (vom nächsten Stellvertreter-Gangster?) bekämpft werden. Jenes »Spiel«, das etliche Menschenleben kostete und kein einziges Problem gelöst hat, »muss« also von neuem beginnen. Man kann bei diesem Szenario an den IS in Syrien denken – oder an den Fall des irischstämmigen US-Gangsters James »Whitey« Bulger, der in den 70er und 80er Jahren vom FBI als Gegenpol zur italienischen Mafia aufgebaut wurde, und Dank dieser Protektion zum lokalen Verbrecherkönig aufgestiegen war. Regisseur Scott Cooper hat aus dieser spannenden Geschichte und mit einem hochklassigen Ensemble den trotzdem etwas enttäuschenden Film »Black Mass« gemacht.

1975 war jener Bulger mit dem dünnen, blonden, nach hinten geklatschten Haarkranz (Johnny Depp) ein kleines kriminelles Licht aus dem Bostoner Süden. Erst die Verbindung mit einem FBI-Agenten, Bulgers Jugendfreund John Connolly (Joel Edgerton), brachte ihm den »Durchbruch«. Indem Bulger einen italienischstämmigen Konkurrenten nach dem anderen ans FBI-Messer lieferte (im Austausch gegen FBI-Schutz), machte er seinen Weg an die Spitze der Bostoner Unterwelt frei.

»Black Mass« verschleudert diese elektrisierende Ausgangssituation, indem er für die politische Brisanz der FBI-Strategie nicht mehr als ein Schulterzucken bereit hält, und ausschließlich biografische Eckdaten Bulgers abhakt. Zusätzlich bedient sich der Film ziemlich schamlos bei früheren Gangster-Biopics – etwa bei »Good Fellas«, Martin Scorseses Meilenstein des Genres – ohne aber in die Nähe von deren Niveau zu gelangen. Außerdem wird, vielleicht inspiriert von der beeindruckenden ersten Staffel der TV-Serie »True Detective«, ein Verhör als »Rahmenhandlung« eingeführt, das dann aber bis zur Bedeutungslosigkeit verkümmert, weil es viel zu lange nicht fortgeführt wird.

Es gibt zudem keine positive Identifikationsfigur. Johnny Depp als Bulger schafft es zwar, als eiskalter und schmieriger Fiesling mit düsterer Aura zu glänzen. Aber er bleibt eindimensional und kann absolut keine Sympathien erzeugen, wie dies anderen kriminellen Antihelden, etwa in »Good Fellas«, »Der Pate« oder »Scarface«, gelingt. So wendet sich der Zuschauer Johnny Depps Antagonisten zu, dem von Edgerton als jovialem Emporkömmling gespielten FBI-Agenten John Connolly. Der ist zwar ein erheblich zugänglicherer Charakter als Bulger, ist aber so von Ehrgeiz zerfressen, dass es auch wieder abstößt. Frauen kommen zwischen der prominenten Männerriege praktisch nicht vor – auch wenn Dakota Johnson auf der Besetzungsliste auftaucht.

Ein weiteres erzählerisches Pfund wird von Regisseur Scott und den Autoren Mark Mallouk und Jez Butterworth verschenkt: Bulgers Bruder Bill (Benedict Cumberbatch) war gleichzeitig zu James Bulgers kriminellem Aufstieg demokratischer Senator von Massachusetts. So sehr man sich über jeden Auftritt des feinsinnigen Cumberbatch freut, so blass bleibt dieser hier und so wenig wird der spektakulären familiären und politischen Konstellation auf den Grund gegangen. So wie Cumberbatch, darf auch Kevin Bacon sein schauspielerisches Riesenpotenzial als John Connollys Vorgesetzter beim FBI nicht ausspielen. Bis auf Johnny Depp wurden die Edelmimen von ihrem Regisseur offensichtlich zum Spiel mit angezogener Handbremse angeleitet, was streckenweise den ganzen Film blockiert. Der wird dadurch zum soliden Thriller – zu mehr nicht.

Bemerkenswert aber ist die todernste Performance von Johnny Depp, dem man nach »Fluch der Karibik« und »Mortdecai« eigentlich nur noch Karikaturen zutraute. Auch sein James »Whitey« Bulger wirkt (schon wegen der aufwendigen Maske) etwas aufgesetzt, doch beweist Depp, dass er eben immer noch Schauspieler genug ist, um dies auszugleichen und einen der besten Auftritte seiner Karriere abzuliefern. Auch die 70er- und 80er-Jahre-Ausstattung (Szenenbild: Stefania Cella) und die kühlen und durchkomponierten Bilder des Kameramanns Masanobu Takayanagi können bestechen.
Der echte Bulger war übrigens nach seinem Verschwinden 1994 fast 17 Jahre lang auf der Flucht, stand lange Zeit auf den Fahndungslisten gleich hinter Osama Bin Laden. 2011 wurde er schließlich in Kalifornien verhaftet und sitzt als nun 86-Jähriger die Haftstrafe für elf Morde ab. Auch war er ein Vorbild für Jack Nicholsons Charakter in Martin Scorseses »The Departed« von 2006 – einem Film, den sich der flüchtige Bulger damals heimlich im Kino ansah, wie er einst prahlte.

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