Der BND-Versteher
NSA-Ausschuss hörte den Sachverständigen Graulich - das gefiel der Opposition überhaupt nicht
Kurt Graulich, der am Donnerstag vor den sogenannten NSA-Untersuchungsausschuss geladen worden war, ist ein honoriger Mann. Er war Richter der höchsten Bundesebene und wurde nun, nachdem der einschlägige parlamentarische Untersuchungsausschuss immer drängender Fragen zur Rolle des BND in der NSA-Spionageaffäre stellte, als Sachverständiger bestellt. Von der Regierung. Er sollte den Inhalt und damit die Regelwidrigkeit von sogenannten Selektoren überprüfen, die der BND aber bereits außer Dienst gestellt hatte. Diese Suchbegriffe gehören zu rund 40 Millionen, die die US-amerikanische NSA dem BND übergeben hat, damit der deutsche Auslandsgeheimdienst damit den Kommunikationsverkehr filtert. Graulich hatte bei seiner Recherche Hilfe. 99 Prozent der Leute, die ihm Material zugearbeitet haben, Fragen beantworteten und Berechnungen anstellten, waren Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes. In den Räumen dieses Dienstes war sein Arbeitsplatz. Das fehlende Prozent Assistenz stellte das Kanzleramt in Gestalt des Regierungsdirektors Philipp Wolff, der an den Verhandlungen des Untersuchungsausschusses permanent als Blockierer beteiligt ist.
Kein Wunder also, dass die Opposition die Unabhängigkeit des Sachverständigen, den sie nicht wollte, in Zweifel zog. Zumal die Sichtung und Bewertung der Selektoren eigentlich der Job der Abgeordneten wäre. Doch den zu erfüllen wird ihnen vom Bundeskanzleramt verwehrt. Dagegen läuft zwar bei den obersten Verfassungsrichtern in Karlsruhe eine Klage, doch bis da entschieden wird, sind längst Tatsachen geschaffen. Auch durch Graulich, der »diese Schablone von der anlasslosen Massenüberwachung nicht mehr hören kann«, wie er kund tat. Gerade die Erstellung von Selektoren bewirke »das Gegenteil«, argumentierte der Mann auf dem Zeugenstuhl. Denn für jeden Suchbegriff gebe es eine Begründung - auch wenn die Software des BND leider nicht fähig ist, diese von den US-Kollegen beigegebene Erklärung zu lesen. Das meint: Vielleicht hat der BND ja zu unrecht NSA-Selektoren aus dem Programm genommen.
Graulich machte auch klar, dass man eigentlich keinen Grund habe, an der Tätigkeit der deutschen Dienste zu zweifeln. Er verwies auf den »brutalsten Geheimdienst« in der deutschen Geschichte und meinte das Reichsicherheitshauptamt der SS. Bis 1989 sorgte der mit 91 000 hauptamtlichen Mitarbeitern größte Geheimdienst, das DDR-Ministerium für Staatssicherheit, für eine wirkliche Massenüberwachung. Das sei mit der Einheit korrigiert worden, heute hätten alle geheimen deutschen Dienste gerade einmal 12 500 Mitarbeiter. Auf jeden von denen kämen zwei Richter und Staatsanwälte, also Leute wie er. Graulich wollte klarstellen: Mehr Rechtsstaat geht nicht.
Von Graulichs Bericht gibt es offenbar drei Fassungen. Eine offene, eine geheime Variante und eine, die offenbar so geheim ist, dass sie nur an die Kanzlerin weitergegeben wurde. Bereits bevor Graulich den Saal betrat, um den Inhalt der offenen Berichtsvariante zu erläutern, war seine Reputation angekratzt. Denn offenbar hat der Sachverständige im Regierungssold wichtige Stellen seines Berichts abgeschrieben. Er soll rechtlichen Einschätzungen vom BND übernommen und dabei keine Quellen benannt haben. Medien hatten das vorab berichtet, Graulich fand nichts Verwerfliches an seinem Tun. Er fand es auch nicht bedenklich, dass er sich mit den bisherigen Zeugenvernehmungen und damit auch mit Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses nicht befasst hat, bevor er seine Arbeit begann. Doch nicht das oder das »Plagiat« regt Konstantin von Notz (Grüne) auf. Er bezweifelt die gesamte Arbeitsmethode. Graulich habe sich knapp 40 000 vom BND für ihn in Exel-Dateien übersetzte Selektoren angeschaut. 68,7 Prozent von ihnen betrafen Regierungsstellen von EU-Staaten, 86,9 Prozent waren über einhundert Tage aktiv, bevor sie im Sommer 2013 aus dem System entfernt wurden. Den Grund gibt Graulich ohne Umschweife zu: Die Veröffentlichungen des einstigen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden führten »zum Umdenken«.
Martina Renner, Obfrau der Linksfraktion, blieb auch nach ihrer Befragung dabei, dass Graulich »eine bestellte Auftragsarbeit der Regierung« abgeliefert hat. Ganz anders sehen das die Vertreter der Regierungsparteien. Der in der Regel eigentlich scharfzüngige Frager der SPD, Christian Fliesek, fand keinen einzigen Hinweis, dass sich die Hilfe des BND bei der Erstellung des Berichts negativ auf dessen Qualität ausgewirkt hat. Denn der benenne doch durchaus »erhebliche Organisationsmängel« in der Arbeit des Auslandsgeheimdienstes.
Aktuell wichtiger scheint eine seriöse Auskunft zu der Frage: Wie problematisch sind die restlichen über 40 Millionen Selektoren? Wie man da herausfinden kann, welche deutschen und europäischen Interessen von NSA und BND verletzt, welche Personen, Unternehmen, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen oder Journalisten bespitzelt werden, ist aber nicht Graulichs Untersuchungsauftrag. Für ihn war nur maßgebend, ob die US-Geheimdienstler mit ihren dem BND übergebenen Suchbegriffen gegen eine entsprechende Vereinbarung verstoßen haben. Da bleibt Graulich vage. Er hatte den Eindruck, dass die NSA sich vor allem für solche Unternehmen interessierten, die Dual-use-Güter, also auch militärisch nutzbare Produkte, produzieren. Überhaupt, so dozierte er erneut politisch, so ein Abkommen, mit dem sich beide Seiten zur Einhaltung der Rechte des jeweils anderen Partner verpflichten, erweitere doch den rechtsstaatlichen Rahmen. Nur einmal habe es in einer Sache Streit zwischen den Partnern gegeben. Worum es da ging, sagte Graulich natürlich nicht.
Auch jenseits der Vernehmung Graulichs war der Whistleblower Snowden Thema der Ausschussberatung. Die Opposition verlangte abermals seine Ladung vor den Ausschuss - bei entsprechenden Sicherheitsgarantien, die die Bundesregierung aber noch immer nicht geben will. Die SPD würde sich mit einer Videobefragung begnügen. Fliesek nannte sogar schon ein Datum. Die Übertragung könnte am 12. November stattfinden - dabei wusste der Abgeordnete, dass Snowden diese Art der Befragung bereits abgelehnt hatte.
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