Auf diese Stimmen fährt man ab

»Nächster Halt ...« - wer steht hinter den Ansagen in Bus und Bahn? Und wie lange noch?

  • Valentin Gensch, Offenbach am Main
  • Lesedauer: 4 Min.
Ob Ost oder West - sie gehen ins Ohr und bleiben vielen im Kopf: Die elektronischen Haltestellen-Ansagen in Bus und Bahn. Manchen so sehr, dass sie den Sprechern Liebesbriefe senden. Doch wer sind die?

Ingrid Metz-Neun gehört zu den bekanntesten Frauen in Deutschland - doch kaum jemand kennt ihr Gesicht. Obwohl die Synchronsprecherin jeden Tag von Millionen Menschen wahrgenommen wird. Ihr Markenzeichen ist ihre Stimme. Und diese kündigt täglich Haltestellen und Umsteigemöglichkeiten in U-Bahnen, Straßenbahnen oder Bussen in Deutschland an. Doch menschliche Ansagen für Haltestellen wie die von Metz-Neun könnten bald der Vergangenheit angehören: Denn Vorleseautomaten sind bei Verkehrsbetrieben im Kommen.

»Nächster Halt: Hauptbahnhof.« Seit fast vier Jahrzehnten spricht die 65-Jährige in ihrem Tonstudio in Offenbach am Main die Namen von Haltestellen ein. Ihre Stimme, so sagt sie, sei bei Verkehrsbetrieben etwa in Frankfurt am Main, Köln, Düsseldorf, Magdeburg, Rostock und streckenweise auch in Berlin zu hören. Dazu dürften nach ihrer Schätzung noch etwa drei Dutzend weitere deutschsprachige Städte kommen. »In wie vielen - das weiß so genau niemand«, sagt Metz-Neun. Straßen, Plätze oder Wohngebiete vertont sie meist, ohne den dazugehörigen Ort zu kennen.

Von ihren Auftraggebern bekommt die Sprecherin eine Liste mit Haltestellen, die es möglichst freundlich betont einzusprechen gilt. »Das ist furchtbar dröge«, findet Metz-Neun. »Besonders schrecklich ist es, nach Hunderten eingesprochenen Straßennamen noch freundlich zu bleiben«, sagt sie lachend.

Ingo Ruff dagegen langweilt sich beim Einsprechen von Ortsnamen nicht. Der 50-jährige Moderator verkörpert die Ansagestimme in den Regionalzügen der Deutschen Bahn. »Etwa 6000 Ansagen habe ich bisher gesprochen - und es macht immer noch Spaß«, sagt Ruff. Täglich kündigt er im Schnitt rund fünf Millionen Fahrgästen den nächsten Halt an. Ins Tonstudio für neue Ansagen muss Ruff zum Fahrplanwechsel der Bahn im Frühjahr und Herbst. »Zwischen 50 und 300 neue Haltestellen muss ich zwei Mal pro Jahr einsprechen - je nachdem was anfällt«, sagt Ruff.

»Eine Ansage muss etwa drei bis viermal eingesprochen werden, bis sie wirklich sitzt«, erklärt Ruff. Danach werde die Ansage im Tonstudio optimal abgemischt, so dass die Fahrgäste die Worte auch bei Zuggeräuschen während der Fahrt gut verstehen können. Bei einer Tochterfirma der Bahn werden die Audiodateien für die Regionalzüge programmiert und archiviert. Es könne schon einige Tage dauern, bis die Ansage im Zug zu hören ist, sagt der Sprecher.

Ein Problem, das auch die Freiburger Verkehrs AG (VAG) kennt. »Bei kurzfristigen Umleitungen, beispielsweise durch Baustellen, brauchen wir möglichst schnell eine neue Ansage«, sagt Klaus Funke, bei der VAG zuständig für die Verkehrsplanung. Das Unternehmen behilft sich deswegen seit einigen Jahren mit einem Vorleseautomaten - mit einer Computersoftware also, die die fraglichen Texte vorliest.

Zwar klingt die Computerstimme etwas blechern und abgehackt. Auch die Betonung der Haltestellen stimmt nicht immer. »Trotzdem werden wir unseren eigentlichen Sprecher mittelfristig ablösen müssen«, kündigt Funke an. In einigen Jahren soll deshalb in Straßenbahnen und Bussen in Freiburg nicht mehr die Stimme eines Schauspielers zu hören sein, sondern eine künstliche.

Damit liegt die VAG Freiburg in Baden-Württemberg ansagetechnisch im Trend: Immer mehr deutsche Verkehrsbetriebe setzen auf Computerstimmen - vor allem die großen Unternehmen, sagt der Sprecher vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, Lars Wagner. Etwa von der Firma Linguatec in München, die sich als Marktführer für Vorleseautomaten in Deutschland bezeichnet.

Bundesweit setzen nach Angaben von Linguatec-Sprecherin Brigitte Schindler knapp 50 Nahverkehrsunternehmen die elektronische Sprachausgabe ein. In U-Bahnen, Straßenbahnen oder Bussen in Berlin, Hamburg, Köln und München ist das sogenannte Text-to-Speech-System bereits zu hören.

Auch die Deutsche Bahn setzt auf das System - jedoch mit der Stimme von Ingo Ruff. »Ich musste tagelang irgendwelche Silben ohne Zusammenhang einsprechen«, erzählt Ruff. Aus den einzelnen Wortfetzen lassen sich am Computer Ansagen zusammenfügen. Bisher sei das Text-to-Speech-System nur in bestimmten Zugtypen einsetzbar, sagt eine Bahnsprecherin. Ob solche Ansagen irgendwann ausschließlich zu hören sind, ließ die Sprecherin offen. »Es ist die kostengünstigere Variante«, sagt Ruff und fügt hinzu: »Meine echte Stimme gefällt mir besser. Sie erzeugt mehr Vertrauen.«

Ingrid Metz-Neuns Stimme in Straßenbahnen und Bussen scheint bei einigen Fahrgästen auch andere Gefühle auszulösen. Über Jahre hinweg hat die Sprecherin Fanpost bekommen. »Der Postbote hat hier kistenweise Post abgeliefert«, sagt sie, darunter zahlreiche Liebesbriefe mit »eindeutigen Angeboten«. Heute komme die Fanpost elektronisch per E-Mail. »Irgendjemand hat mal gesagt, ich könnte mit meiner Stimme streicheln«, erzählt die 65-Jährige. Ihre Stimme berührt wohl mehr, als die blecherne und abgehackte aus dem Vorleseautomaten. dpa/nd

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