Sterbehilfe in der Grauzone
Bundestag verschärft Regelungen und stellt geschäftsmäßige Suizidhilfe unter Strafe
Am Freitagvormittag bot sich im Bundestag ein ungewohntes Szenario. Vier Gruppen von Abgeordneten stritten über Fraktionsgrenzen hinweg für ihre Anträge. Zu Beginn der dreistündigen Debatte über die Sterbehilfe lobte der CDU-Parlamentarier Michael Brand, dass der Bundestag »das Sterben aus der Tabuzone« geholt habe. »Für diesen Zugewinn an Menschlichkeit können wir dankbar sein«, sagt er. Bei dem emotionalen Thema war Brand sogar bereit, mit Abgeordneten der Linksfraktion zu kooperieren. Er hatte gemeinsam mit einer Gruppe um Kerstin Griese (SPD), Harald Terpe (Grüne) und Kathrin Vogler (LINKE) einen Antrag zum Verbot organisierter Suizidbeihilfe verfasst. Das Papier wurde von höchster Ebene unterstützt. Zu den Befürwortern zählten neben einigen Ministern auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie ihr Stellvertreter Sigmar Gabriel (SPD).
Das Ziel der Gruppe war es, durch eine gesetzliche Regelung Sterbehilfevereine zu verbieten, die bislang Unterstützung beim Suizid anbieten, ohne eine Strafe fürchten zu müssen. Griese warnte davor, dass Menschen zu einem Suizid gedrängt werden könnten. Den ärztlichen Freiraum wolle sie in dieser Frage erhalten. »Aber wir können klar machen, dass wir als Gesetzgeber den assistierten Suizid als ärztliche Regelleistung nicht wollen«, so die SPD-Abgeordnete.
Einen liberaleren Ansatz verfolgten unter anderem Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (LINKE). »Die Selbstbestimmung am Lebensende muss akzeptiert werden«, erklärte Künast. Nach ihrem Entwurf soll es Ärzten und Organisationen erlaubt sein, Hilfe beim Suizid zu leisten. Allerdings wenden sich Künast und ihre Unterstützer gegen kommerziell ausgerichtete Sterbehilfe. Petra Sitte betonte, dass der Rechtsstaat bereits heute funktioniere. Sie wies auf die Verfahren gegen den früheren Hamburger Justizsenator Roger Kusch hin. Der einstige CDU-Rechtsaußenpolitiker ist ein selbst ernannter Sterbehelfer. Er hat entsprechende Vereine gegründet und für seine »Sterbebegleitung« Geld verlangt.
Künast warnte vor möglichen Folgen einer Strafrechtsverschärfung. Wenn Ärzte Strafe für eine auf Wiederholung angelegte Suizidbeihilfe fürchten müssten, sei ein offenes und ehrliches Gespräch für den Patienten nicht mehr möglich. Künast bezog sich auch auf Gespräche, die sie während der einjährigen Debatte des Bundestags über die Sterbehilfe mit Bürgern geführt hatte. Dabei sei ihr immer wieder gesagt worden, dass der Staat sich aus dieser Frage heraushalten solle. Die Grünen-Politikerin sprach sich deswegen für ein »Sterben ohne den Staatsanwalt« aus.
Ähnlich äußerte sich Peter Hintze. Der CDU-Mann hatte sich unter anderem mit Karl Lauterbach (SPD) zusammengetan, um einen Entwurf auszuarbeiten. Dieser sah eine ausdrückliche Erlaubnis für ärztlich assistierten Suizid im Bürgerlichen Gesetzbuch vor. Voraussetzung hierfür war, dass Menschen sterbenskrank sind und schwer leiden. Hintze kritisierte, dass mit dem Ansatz von Brand und Griese Tausende verantwortungsvolle Ärzte mit Strafe bedroht würden, um einen Scharlatan zu erwischen. »Das ist mit dem Rechtsstaat nicht vereinbar«, sagte Hintze.
Einige Parlamentarier wie die Grünen-Abgeordnete Katja Keul sprachen sich dafür aus, jedes neue Gesetz abzulehnen. Denn die bisherige Rechtslage habe nicht zu einem Anstieg assistierter Suizide geführt, so Keul. Dagegen warben die CDU-Abgeordneten Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger für ein striktes Verbot jeglicher Beihilfe beim Suizid. Dieser Antrag fand bei der Abstimmung im Parlament die geringste Unterstützung von nur 37 Stimmen. Auch die Anträge von Hintze und Künast fielen durch. Mit deutlicher Mehrheit wurde der Entwurf von Brand und Griese in der dritten und damit abschließenden Lesung angenommen. Für die Vorlage stimmten 360 von 602 Abgeordneten, dagegen waren 233. Neun Abgeordnete enthielten sich.
Was dieses neue Gesetz tatsächlich für Ärzte bedeutet, die Sterbehilfe leisten, wird sich zeigen. Zumindest wird ihre Lage nicht einfacher. Derzeit bewegen sie sich weitgehend in einer Grauzone. Auch die neue Rechtslage dürfte zunächst wenig Klarheit für sie schaffen.
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