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Die sozialistische Polisdemokratie

Visionen und Aktionen des libertären Kommunalisten Murray Bookchin

  • Philip J. Dingeldey
  • Lesedauer: 3 Min.

Unter linken Denkern gibt es viele, die im öffentlichen Bewusstsein eher ein Nischendasein führen. Einer von ihnen ist der 2006 verstorbene US-Amerikaner Murray Bookchin. Er war libertärer sozialistischer Kommunalist, Gründer des Institute of Social Ecology in Plainfield und zugleich Aktivist, etwa als Gewerkschafter im General-Motors-Streik 1946.


Murray Bookchin: Die nächste Revolution. Libertärer Kommunalismus und die Zukunft der Linken.
A. d. Amerik. v. Sven Wunderlich. Unrast. 221 S., br., 16 €.


Seine Tochter Debbie Bookchin und Blair Taylor haben neun Essays von ihm herausgegeben, die jetzt auch auf Deutsch vorliegen. In den ersten legt Bookchin seine politische Theorie dar über Kommunalismus, Konföderalismus, Ökologie und libertären Munizipalismus; es folgen Texte über Urbanisierung, Anarchismus und Nationalismus. Der Band gibt somit eine gute Einführung in sein Denken.

In »Das kommunalistische Projekt« erläutert Bookchin sein libertär-sozialistisches Konzept in Abgrenzung zu Anarchisten und Marxisten: Auf Gemeindeebene sollten Bürger ein eigenes Gemeinwesen direktdemokratisch konstituieren. Volksversammlungen sollen in revolutionärer Manier eine Autonomie gegenüber dem Staat erkämpfen. Bookchin unterscheidet zwischen Staat und Politik, sieht diese Begriffe gar als Gegensätze. Er konzipiert quasi eine sozialistische Polisdemokratie. In einer direkten Demokratie könnten die Bürger auch die Wirtschaft vergemeinschaften und zur Rettung der Umwelt beitragen. Letztere resultiere nämlich aus der kapitalistischen Herrschaft von Menschen über Mensch und Natur sowie dem Irrglauben an grenzenloses Wachstum. Fraglich bleibt aber, ob eine libertäre Kommunalisierung wirklich so rational sozialistisch und ökologisch verliefe und nicht etwa anarchokapitalistisch.

Die einzelnen Gemeinden, von denen es in urbanisierten Regionen zahlreiche geben müsste, sollten sich in losen Konföderationen organisieren. Die Volksversammlungen würden weisungsgebundene Delegierte zu konföderativen Versammlungen schicken, um etwa Streitfragen zu regeln.

Bookchin versucht einen Drahtseilakt: Er kritisiert sowohl die kapitalistische Globalisierung als auch Marxisten wie Antonio Negri und Michael Hardt, die auf den globalen Kapitalismus mit globalen antikapitalistischen Bewegungen reagieren wollen. Gleichzeitig plädiert Bookchin aber im Essay »Nationalismus und ›nationale Frage‹« für einen universellen, aufgeklärten Humanismus, der jedes nationalistische und nationalstaatliche Denken ablehnt. Beeindruckend an Bookchins Texten sind die starken synthetischen Schlüsse aus verschiedensten Disziplinen, sei es Geschichte, Politik, Philosophie, Soziologie, Ökologie und Wirtschaft. Als vorbildlicher Intellektueller brilliert er mit einem großen Allgemeinwissen. Hin und wieder jedoch wirken seine Beispiele verkürzt und vereinfacht, wichtige Details scheint er mitunter zu übersehen.

Bookchin war ein vielfältiger und in Europa wenig beachteter Denker, der Aufmerksamkeit verdient. Seine engagierten Essays rufen zum Aktivismus auf, den wir auch heute noch dringend nötig haben.

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