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Von Old Charly bis zum »Roten Jochen«

Christian Krell stellt Vordenkerinnen und Vordenker der Sozialen Demokratie vor

  • Heinz Niemann
  • Lesedauer: 4 Min.

Der mit Bedacht gewählte Titel soll darauf aufmerksam machen, dass es sich weder um ausschließlich der Sozialdemokratie zuzuordnende Persönlichkeiten noch nur um sozialistische Vordenkerinnen und Vordenker handelt. Auch soll mit dem gewollten Verzicht auf den Begriff des »Intellektuellen« auf die völlig legitime Berücksichtigung von Nichtakademikern hingewiesen werden. Zudem finden sich in dem von Christian Krell herausgegebenen Band nicht nur Vordenker, sondern auch Vorkämpfer, darunter allerdings nur fünf Frauen, mit Rosa Luxemburg und Anna Siemsen aber auch zwei besonders bemerkenswerte.


Christian Krell (Hg.): Vordenkerinnen und Vordenker der Sozialen Demokratie.
49 Porträts. J.H.W. Dietz. 368 S., br., 26 €.


Die Palette der Porträts reicht von Karl »Old Charly« Marx und August Bebel über Friedrich Ebert und Jakob Kaiser, vom religiösen Sozialisten Paul Tillich bis zum Ex-Kommunisten Herbert Wehner. Ein Zeitraum von fast 200 Jahren wird umspannt.

Den allesamt kompetenten Biografen war vorgegeben, die Wirkung der Ideen, Vorstellungen, Denkstile und Taten ihrer Protagonisten auf und für die Theorie und Praxis der sozialen Demokratie zu skizzieren, wobei die Gesellschaft der Bundesrepublik als praktisch realisierte, wenn auch nicht ganz vollkommene soziale Demokratie angenommen wird. Die vorgegebene Kürze der Porträts erforderte Mut zur Lücke. Man hätte sich auch Porträts von vorausschauenden Theoretikern der sozialistisch-kommunistischen Linken, etwa Rudolf Bahro oder Robert Havemann, in diesem biografischen Reigen gewünscht, die uns zudem noch zeitnah sind und nicht schon seit hundert Jahren tot.

Vermutlich war es die gegenwärtig herrschende geistige Sterilität, die den Herausgeber veranlasste, mit dieser Sammlung wenigstens einen Anstoß für die Auffrischung von Geist und Politik zu liefern. Die sich vertiefende Krise der europäischen Gesellschaften verlangt nach neuen tragfähigen Angeboten. Von diesem Anspruch ausgehend, fallen manche »Weglassungen« dann doch schmerzlich auf. Nichtsdestotrotz regen die hier vorgestellten Denkerinnen und Denker mit den von ihnen aufgeworfenen Problemen geistigen Streit sehr wohl an.

Das trifft z. B. auf Heinz Kühn zu, der als langjähriger Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen nicht nur reformfreudig war, sondern auch vorbildhaft im Bereich der Ausländer- und Integrationspolitik wirkte. Oder Erhard Eppler, der einzige noch Lebende unter den 49 vorgestellten Persönlichkeiten. Seine Beiträge als Theoretiker wie als Minister für Entwicklungshilfe von 1969 bis 1974, als er wegen Kürzungen seines Etats durch Helmut Schmidt zurücktrat, sind von größter Aktualität wie auch sein einstiges Bemühen um Abrüstung. Ähnliches ist über Jochen Steffen zu bemerken, den »Roten Jochen« aus Schleswig-Holstein, der - militanter Antistalinist - um ein radikal-sozialdemokratisches Programm mit der Intention kämpfte, über die SPD hinaus ein linkes Bündnis zu schmieden.

Peter Glotz, oft als einer der letzten »Vordenker« der SPD bezeichnet, ist ebenso aktuell. Der Bundesgeschäftsführer der SPD 1981 bis 1987 unter Willy Brandt prägte die geistige Debatte in der alten Bundesrepublik wesentlich mit. Und er warnte früh vor der Etablierung einer Zweidrittelgesellschaft nach dem Wegbrechen der Systemkonkurrenz, die den sozialen Frieden gefährden würde.

Peter von Oertzen ist der einzige unter den hier Porträtierten, der aktiv und am längsten (bis zu einem Tod 2008) den höchst schwierigen und noch längst nicht ans Ende gekommenen Neuformierungsprozess einer radikal-demokratischen und sozialistischen Linken in Deutschland begleitet hat. Seine Herkunft, sein Glaube an den »Endsieg« bis zum bitteren Ende im Rang eines Leutnants der Wehrmacht, seine Katharsis wie sein Weg zum herausgehobenen niedersächsischen SPD-Landespolitiker bis hin zum Parteiaustritt (mit Lafontaine im März 2005) weisen ihn als ebenso radikalen Einzelgänger wie als theoretisch hochgebildeten Verfechter eines demokratischen Sozialismus aus, der das tragische Versagen so vieler »Vordenker«, z. B. auch von Otto Bauer, mit dem Fehlen eines »Vortrupps« erklärte.

Dem Buch ist eine breite Leserschaft zu wünschen. Es regt an, sich näher mit dem geistigen Nachlass der Porträtierten zu befassen, um Antworten auf die vielen uns heute umtreibenden Fragen zu gewinnen. Auch darüber, warum so vieles praktisch scheiterte, manches erfolgreich realisiert wurde, aber nun wieder gefährdet erscheint.

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