Bankrotterklärung des Rechtsstaates
Was können die Verantwortlichen gegen gewalttätige Islamisten tun? Oliver Tolmein versucht Antwort auf diese Frage zu finden.
Die Morde von Paris haben eine Debatte in Gang gebracht, die jeden Politiker freuen kann: Tipps und Ratschläge, was nun gegen den islamistischen Terrorismus zu machen sei oder was keinesfalls getan werden darf, sind in den sozialen Netzwerken tausendfach und in den Medien auch reichlich vorhanden. Die schreibende und redende Zunft sieht sich nicht umsonst gern als vierte Gewalt im Staat. Und das mag man ja auch gut finden, schließlich greift der Islamische Staat (IS) mit seinen Anschlägen tatsächlich »uns« alle und »unsere« Lebensweise an: Sie sehen »uns« offenbar als die einheitliche Gemeinschaft, zu der viele von uns gar nicht gehören wollen.
Jedoch spricht die Liste der Opfer, auf der Muslime, Christen, Ungläubige aller Religionsgemeinschaften, US-Amerikaner, Franzosen, Deutsche, Künstlerinnen, Arbeitslose und Studierende zu finden sind, eine deutliche Sprache. Eine genauso deutliche Sprache wie die Wahl der Mittel, mit denen gemordet wird. Und es lässt sich problemlos feststellen, dass gegen diese rücksichtslosen und bis zum letzten entschlossenen Angreifer angemessen nur mit Waffengewalt vorgegangen werden kann - nicht mit Mitteln der Arbeits- und Sozialpolitik, des Diskurses oder der gesellschaftlichen Ausgrenzung.
Trotzdem halte ich es für falsch, jetzt nach der Bundeswehr, nach mehr Polizei oder einer Etataufstockung für die Geheimdienste zu rufen. Der staatliche Gewaltapparat hat sich durch die Anschläge nicht verändert. Er ist nicht zureichend demokratisch kontrolliert, er hat sich durch Krisen und Skandale nicht geläutert. Und die sind - der NSU-Skandal ragt da am deutlichsten heraus - nicht von untergeordneter Bedeutung. Es spricht nichts dafür, dass jetzt, da es gegen den IS gehen könnte, die Repression plötzlich emanzipatorisch und zuverlässig auf die Gesellschaftsfeinde fokussiert wäre, die tatsächlich ins Visier genommen werden sollten.
Wenn sich jetzt die Mehrheit der Bundesbürger für Grundrechtseinschränkungen ohne Sinn, Plan und Verstand ausspricht, dann entsteht eine Gefahr, die anders ist als die vom IS ausgehende, die aber keineswegs vernachlässigt werden darf. »Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit« ist ein Programm, das nicht nur martialisch klingt, sondern auch eine Bankrotterklärung des Rechtsstaates darstellt. Dass jetzt auch großmütig auf die eigene Freiheit verzichtet wird, macht nichts besser. Die erforderliche Bekämpfung islamischer Gewalttäter allein mit repressiven Mitteln kann nicht erfolgreich sein. Es ist ja kein Zufall, dass der IS im Westen nicht zuallererst Kasernen, Polizeistationen oder Gefängnisse attackiert, sondern kulturelle Treffpunkte - die Orte der Gesellschaft, an denen Freiheit ihren Platz hat.
Das Problem ist also, erkennen zu müssen, dass der Staat gegen den IS entschlossen, polizeilich und militärisch effizient vorgehen muss. Das ändert aber gleichzeitig nichts daran, dass es für das Misstrauen in den staatlichen Gewaltapparat so gute Gründe gibt, dass ich auf dieser Ebene nicht viel Unterstützung leisten kann und mag - und im Übrigen auch nicht muss: Die Entscheidungen über weitere Bundeswehreinsätze, über Polizeirazzien, Großfahndungsmaßnahmen und möglicherweise auch neue repressive Gesetze werden ohne die außerparlamentarische Opposition getroffen. Der gibt das die Gelegenheit, sich den Bereichen zuzuwenden, in denen ihr Engagement dringender benötigt wird.
Es erscheint mir persönlich allerdings ebenfalls geboten, im Bereich der repressiven Maßnahmen nicht einfach reflexhaft Vorbehalte zu wiederholen, sondern hier auch Zurückhaltung zu üben und anerkennen zu können, dass die Polizeieinsätze der vergangenen Tage auch meiner Sicherheit gedient haben. Trotzdem sehe ich die Attentäter und ihre Komplizen weitaus lieber vor Gericht als nach Feuergefechten im Leichenschauhaus. Menschen, die sich im Zweifelsfall in die Luft sprengen, sind allerdings zugegebenermaßen ausgesprochen schwer zu verhaften.
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