Wenn der Alltag zu düster wird

Im Kino in der Kulturbrauerei beginnt das Festival »Around the World in 14 Films«

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Es sind grundlegend existenzielle Probleme, die das »Festival der Festivals« mit seiner bewährten Auslese der besten Filme aus den Wettbewerben der großen Filmfeste in diesem Jahr als Berliner Premieren ausbreitet. Krieg, Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit, das Überleben in einer Welt, die sich verändert und die Erwerbsgrundlage ganzer Bevölkerungsgruppen in Frage stellt, lesbische Liebe (die sogar gleich zweimal), die von außen angefeindet und von innen demontiert wird, Trauerfälle, Scheidungen und Repression von oben.

Zu den 14 Filmen aus aller Welt treten eine Eröffnungs- und eine Abschlussgala, dazu ein deutscher Film und ein Krimi-Abend, der in Israel spielt, dazu mit dem glamourösen Lesben-Melodram »Carol« von Todd Haynes eine Vorschau auf einen Film, der Tage später ohnehin in die Kinos kommt - es ist ein starkes Programm. (Der zweite Film über eine lesbische Liebe, der dominikanische »Sand Dollars«, kann mit Geraldine Chaplin in einer der Hauptrollen aufwarten, Tochter von Charlie, handelt aber auch von sexueller Ausbeutung ärmerer Drittländer durch die Sextouristen der Ersten Welt.)

Mit »Theeb«, dem Regiedebüt des in Großbritannien geborenen Naji Abu Nowar, ist ein bildgewaltiges Überlebensdrama im Programm, gedreht (von Ulrich Seidls und Michael Glawoggers Kameramnn Wolfgang Thaler) an den selben Schauplätzen, an denen schon David Lean seine Kulisse für »Lawrence von Arabien« fand. Titelheld des Films ist ein junger Beduine, der während des Ersten Weltkriegs zwischen die Fronten britisch-ottomanischer Auseinandersetzungen gerät und ziemlich schnell erwachsen werden muss. Denn schon bevor der Krieg zuschlägt, drohte die neue Eisenbahnlinie nach Mekka seinen Stamm die Lebensgrundlage zu kosten, der vom Führen der Pilgerströme durch die Wüste lebte. Die Laiendarsteller sind atemberaubend gut, der Film skizziert die weltgeschichtliche Gemengelage in all ihrer geopolitischen Komplexität, ohne sich in Details zu verlieren, und verweigert sich durchgängig jeder falschen Sentimentalität. Schließlich kann auch Theeb sich keine Anfälle von Selbstmitleid leisten, wenn er überleben will.

Portugal steuert mit Miguel Gomes’ »Arabian Nights« 1-3 sogar gleich drei abendfüllende Spielfilme bei. Es ist eine überraschende Variante von Tausend und einer Nacht, die magischen Realismus mit dokumentarischen Versatzstücken über ein Portugal in der Wirtschaftskrise verbindet - eine Mischung, die man mögen muss, die in dieser epischen Länge aber tatsächlich den Sog einer ästhetischen Parallelwelt entwickelt, die ihrerseits eine neue Sicht auf die bekannte Wirklichkeit ermöglicht. »Arabian Nights« ist zugleich eine Parabel über das Funktionieren von Kino als Weltfluchtmechanismus und als Spiegel der Realität: Wenn der Alltag zu düster wird, um noch Geschichten daraus zu formen, dann springt das Kino ein. Und wenn es dazu, wie hier, die Geschichtenerzählerin Scheherazade wiederbeleben muss.

Parallelwelten voller erkennbarer Rückbezüge auf die bekannte Alltagswelt sind auch die Grundlage der Filme des Griechen Yorgos Lanthimos. Der ist hier mit seiner ersten englischsprachigen Produktion vertreten: »The Lobster«, groß besetzt mit Colin Farrell, Rachel Weisz und Léa Seydoux, ist das dystopische Porträt einer harschen, verschrobenen Fantasiewelt, in der Menschen nur als Teil eines Paares bestehen können. Wer sich der verordneten Verpaarung widersetzt, darf sich aber jedenfalls noch aussuchen, in welches Tier er zur Strafe verwandelt werden möchte - wobei der titelgebende Hummer gar keine so schlechte Wahl ist, wie man zunächst einmal glauben möchte.

27.11.-6.12., Kino in der Kulturbrauerei, Schönhauser Allee 36, Prenzlauer Berg. www.14films.de

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