Erzieherin mit Hochschuldiplom

Seit 2004 gibt es Studiengänge für Kindheitspädagogik, doch in den Kitas sind die studierten Erzieherinnen nach wie vor eine Minderheit. Von Jürgen Amendt

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

Jana Müller (Name von der Redaktion geändert) ist Erzieherin mit Hochschuldiplom. Im April dieses Jahres schloss sie ihr Bachelorstudium im Fach »Bildung und Erziehung in der Kindheit« ab. Jana Müller gehört zu einer seltenen Spezies von Erzieherinnen. Zwar hat sich zwischen 2013 die Zahl der Kindheitspädagoginnen und -pädagogen im Kita-Bereich verdoppelt, gegenüber den rund 354 000 Kita-Erzieherinnen, die ihre Ausbildung an einer Fachschule absolviert haben, fallen die knapp 3000 Personen mit Hochschulabschluss nach wie vor kaum ins Gewicht.

Der Kita-Experte der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Norbert Hocke erwartet jedoch, dass die Studiennachfrage im Bereich Kindheitspädagogik in den kommenden Jahren deutlich steigen wird - und er hält dies auch aus wissenschaftlicher Sicht für sinnvoll. Die Studiengänge veränderten nicht nur die Qualität der Betreuung, sie wirkten unmittelbar in die Qualität der Ausbildung, denn Fachschulen dürften nur unterrichten. Hochschulen dagegen könnten eigenständige Forschung betreiben. »Wir brauchen die wissenschaftliche Forschung für das Berufsfeld der Erzieherin bzw. der Kindheitspädagogik«, sagt Hocke.

Die Vielfalt des Studienangebots in diesem Bereich ist groß. Bundesweit gibt es zur Zeit über 90 entsprechende Angebote. Allerdings besteht die Mehrzahl davon aus berufsbegleitenden bzw. Weiterbildungsstudiengängen, die eine abgeschlossene Erzieherinnenausbildung voraussetzen. Für viele ist die Weiterbildung bzw. ein Studium der Kindheitspädagogik der nächste Schritt in der beruflichen Laufbahn; sie streben entweder eine Leitungstätigkeit in einer Einrichtung an oder wollen gleich ganz den Kita-Bereich verlassen. Nach Ansicht Hockes gehören Kindheitspädagoginnen jedoch auch in den »normalen« Kita-Dienst.

Auf dieses Berufsfeld werden viele Studierende jedoch ungenügend vorbereitet. Während des Studiums und in der Studienberatung seien als mögliche Berufsfelder immer wieder die Stichworte »Kita-Leitung« oder »pädagogische Beratung« gefallen, erzählt Jana Müller; von einem Job als Erzieherin in einer Kita sei nur am Rande die Rede gewesen. Eine Leitungstätigkeit könnte sie aufgrund ihrer Hochschulausbildung zwar ausüben, doch nur theoretisch; wegen ihrer geringen Berufserfahrung sei dies illusorisch, sagt sie.

Für viele Studienabsolventen, die sich wie Jana Müller für einen Job in der Kita entscheiden, kommt beim Eintritt in die Berufspraxis daher das böse Erwachen. Es hat sich noch nicht bei allen Trägern und Kita-Leitungen herumgesprochen, dass es diese akademische Qualifikation überhaupt gibt. Kindheitspädagoginnen erhalten daher in der Regel das gleiche Gehalt wie Erzieherinnen von Fachschulen, denn sie werden nicht entsprechend ihrer akademischen Qualifikation, sondern abhängig von ihrer Tätigkeit bezahlt.

Manchmal müssen Bewerberinnen bzw. Bewerber mit Hochschulabschluss bei Vorstellungsgesprächen sogar damit rechnen, dass sie nicht einmal als vollwertige Erzieherinnen betrachtet werden. Diese Erfahrung musste Anna Heinrich machen. Die 34-Jährige Stuttgarterin stellte sich vor zwei Jahren als frisch gebackene Hochschulabsolventin an einer Kindertagesstätte in Baden-Württemberg vor. Als das Gespräch auf die Bezahlung gekommen sei, habe die Kita-Leiterin gemeint, da Heinrich keine Erzieherin sei könne man sie auch nicht als solche bezahlen; nach sieben Semestern Studium an der Fachhochschule Freiburg wäre die Kindheitspädagogin in puncto Gehalt mit einer Kinderpflegerin gleichgestellt worden.

Nach Angaben der GEW liegt ein Grund für diese Ungleichbehandlung darin, dass die staatliche Anerkennung der Studienabschlüsse und der Berufsbezeichnungen sich verzögert hat bzw. in einigen Ländern bis heute aussteht. Norbert Hocke sieht darin die Strategie der Länderfinanzminister, die Angleichung der Tariflöhne an die der Sozialpädagogen so lange wie möglich hinauszuzögern.

Zudem ist nach wie vor die Haltung der Arbeitgeber gegenüber den akademisch gebildeten Fachkräften von Zurückhaltung geprägt. So ergab eine Umfrage des Bundesfamilienministeriums im Jahr 2013, dass sich 89 Prozent der Leitungskräfte von Kindertageseinrichtungen für die Betreuung der unter Dreijährigen eine Erzieherin bzw. einen Erzieher wünschen, nur 32 Prozent können sich auch eine Fachkraft mit Hochschulabschluss vorstellen. Die Erziehungswissenschaftlerin Kirsten Fuchs-Rechlin geht deshalb davon aus, dass sich an den vergleichsweise schlechten Karrierechancen der Kindheitspädagogen so schnell nichts ändern wird - trotz forcierten Ausbaus des Studienangebots.

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