Wachsweiches Hochschulgesetz
Die Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes illustriert, wie sehr deutsche Hochschulen mittlerweile kapitalistischen Betrieben gleichen
Neoliberale Meinungsführer betrachten Hochschulen gern als »unvollkommenen Markt«, den es bis zum Äußersten zu deregulieren gilt. Das trifft auch auf die außeruniversitäre Forschung an den Max-Planck-, Leibniz-, Helmholtz- und Fraunhofer-Instituten zu, die ebenfalls öffentlich finanziert sind und ebenfalls einen öffentlichen Auftrag zu erfüllen haben. Der Sektor ist durch und durch marktförmig organisiert: Es wurde ein künstlicher Wettbewerb geschaffen, in dem Universitäten, Lehrstühle, Forschungsabteilungen um Mittel konkurrieren müssen, als wäre der Staat ihr Kunde.
Als Arbeitgeber haben die Hochschulen und Forschungseinrichtungen die marktradikalen Erwartungen allerdings so gründlich erfüllt, so dass die akademische Karriere kaum noch erstrebenswert ist, im Dienst der Wissenschaft immer seltener eine würdige und gesunde Lebensplanung möglich ist und fähige Wissenschaftler zunehmend abwandern.
Nun soll das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) novelliert werden, das bundesweite Grundregeln zur Beschäftigung an Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen festlegt. Mitte des Monats gab es eine öffentliche Anhörung im Bundestag, derzeit wird es im Kabinett diskutiert, noch vor Jahresende soll es ratifiziert werden. Nebenher finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über einen »Nachwuchspakt« statt, bei denen es vor allem über frisches Geld für Stellen an den chronisch unterfinanzierten Hochschulen geht.
Das WissZeitVG stammt aus dem Jahr 2007, ein Jahr nach der Föderalismusreform, das die Hochschulpolitik unter Länderhoheit stellte. Schon damals betrug das Verhältnis von befristeten zu den fest an den Einrichtungen angestellten Wissenschaftlern 5:1, dennoch forderte die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung schon damals mehr »Autonomie« für die Hochschulen nach US-amerikanischem Vorbild. Das ist mithilfe des WissZeitVG so gut gelungen, dass inzwischen von »Exzessen« die Rede ist: 92 Prozent aller Beschäftigten in Wissenschaft und Lehre haben Kurzzeitverträge, die Hälfte davon hat eine Laufzeit von weniger als einem Jahr, manche von nur drei Monaten, sogenannte Kettenverträge, durch die eine befristete Anstellung von der nächsten abgelöst werden, sind die Regel. Ein besonders krasser Fall ist der einer Lehrbeauftragten in Köln, die innerhalb von sechs Jahren mit 15 Zeitverträgen beschäftigt war.
Diesen exzessiven Befristungen möchte die Gesetzesnovelle einen Riegel vorschieben, indem sie die Befristungen an Qualifizierungsziele bindet. Doch die neuen Formulierungen sind so »wachsweich« und »unverbindlich«, kritisieren Grüne und Linkspartei, dass die Arbeitgeber sie weiterhin nach Belieben auslegen können. Dass Qualifizierungen, etwa die Promotion, Habilitation oder der Post-Doc genau definiert werden, lehnen die Regierungsparteien ab. Auch, dass die sogenannte Tarifsperre im WissZeitVG aufgehoben wird, das heißt, dass Beschäftigte sich gewerkschaftlich organisieren und Befristungen Gegenstand des Arbeitskampfes sein können, ist von der Novelle nicht zu erwarten.
Wie Finanzierung und Befristung zusammenhängen, zeigt die hochschulpolitische Wende zur Drittmittelfinanzierung. Ältere Professoren erinnern sich noch an die 1970er Jahre, als Drittmittel verpönt waren, weil eine externe Einflussnahme befürchtet wurde. Inzwischen beträgt ihr Anteil an den Hochschulbudgets im Schnitt knapp 30 Prozent, rund ein Fünftel kommt dabei aus der Wirtschaft. In der Forschung ist der Anteil der Drittmittel in den letzten 20 Jahren von einem auf über zwei Drittel gestiegen.
Die wachsende Einflussnahme der Privatwirtschaft auf Lehrinhalte und Forschungsergebnisse ist allerdings nur ein Teil des Problems. Das Dogma Drittmittel - die eingeworben werden müssen - wirkt sich zugleich nachteilig auf die die Situation der Beschäftigten im Wissenschaftsbetriebs aus: die Projektlaufzeiten bedingen kurze Befristungen. Entsprechend wehren sich Hochschulrektoren und Forschungsdirektoren dagegen, dass die Fristen neu geregelt werden. Mehr noch, die Daueraufgaben, die technisches und Verwaltungspersonal, etwa Sekretärinnen übernehmen, sollen nach ihrem Dafürhalten in der Gesetzesnovelle nicht zu Dauerbeschäftigungen führen.
Die Folgen dieser Regelung sind verheerend. Kein Land hat im europäischen Vergleich so viele unbefristete Stellen im Verhältnis zu so wenigen Professoren. Familienplanung ist für die Beschäftigten des sogenannten Mittelbaus an den Universitäten so gut wie unmöglich. Die Abwanderung frustrierter Akademiker hat zu einem Mangel an Fachpersonal geführt, der auf 650 000 Stellen beziffert wird.
Dass der Bund ab nächstem Jahr die Bafög-Kosten übernehmen wird, ist eine Erleichterung für die Bundesländer, die sich jedoch nicht darauf festlegen lassen wollen, die eingesparten Mittel in neue Festanstellungen zu investieren. Mit dem »Nachwuchspakt« von 2017 bis 2027 will die Bundesregierung eine weitere Milliarde Euro in die Hochschulen investieren. Die 1000 Juniorprofessuren mit anschließender Festanstellung (tenure track), die damit finanziert werden könnten, werden allerdings nicht ausreichen. Mehrere Tausend mehr werden gebraucht, auch für andere Personalkategorien im Mittelbau unterhalb der Professur. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft spricht sogar von 10 000 Nachwuchsstellen, die fehlen.
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