Nach dem bösen Erwachen

In Venezuela erinnert sich die geschlagene Linke der Chávez-Forderung nach Erneuerung

  • Malte Daniljuk und 
Jonas Holldack, Caracas
  • Lesedauer: 4 Min.
In der Woche nach der Wahlniederlage erkennt die chavistische Bewegung langsam das ganze Ausmaß der politischen Katastrophe.

Die Linke in Venezuela verlor am Sonntag nicht nur in ihren eher ländlichen Hochburgen, in Bundesstaaten wie Aragua, Barinas und Monagas die Wahlen. In sämtlichen Hauptstadtwahlkreisen gewann die Opposition. Noch brutaler ist der Verlust der großen Barrios von Caracas, allen voran im 23 de Enero. Dieser »23. Januar« ist seit 1958 eine Hochburg der organisierten Linken. Das Ergebnis der Parlamentswahlen ist ein politisches Erdbeben.

Im Hotel El Conde versuchten zwei ehemalige Minister am Mittwoch einen politischen Notfallplan zu präsentieren. Héctor Navarro und Jorge Giordani amtierten unter Hugo Chávez als Minister für Elektrizität und Finanzen. Sie sprachen von einer »gescheiterten Führung«, die den »politischen Umständen nicht gewachsen« sei. Stattdessen habe die Regierung zugelassen, dass sich eine »Finanzbourgeoisie« innerhalb der Revolution bereichert. Damit bezogen sie sich darauf, dass die offiziellen Kurse und die Schwarzmarktkurse für den Geldumtausch seit Jahren auseinander driften. Dies ermöglicht unglaubliche Spekulationsgewinne und verzerrt das landesweite Preisgefüge. Allerdings kamen Héctor Navarro und Jorge Giordani nicht mehr dazu, ihre politischen Vorschläge zu präsentieren. Eine Gruppe von Anhängern des Präsidenten Nicolas Maduro störte die Veranstaltung.

Auf dem linken Online-Portal Apporrea gibt es unterdessen harte Angriffe auf die amtierende Regierung. Die Vertreter aus den sozialen Bewegungen beziehen sich häufig auf das letzte große Strategiepapier von Hugo Chávez. In »Golpe de timon« (Das Steuer herumreißen) hatte der damalige Präsident im Oktober 2012 eine Erneuerung der bolivarischen Bewegung angemahnt. Demokratie und Sozialismus, so der Namensgeber des Chavismus, müssten immer wieder »von unten« erneuert werden.

Ob der Regierung eine solche Erneuerung gelingt, wird die entscheidende Frage der venezolanischen Politik in den kommenden Wochen. Langsam zeichnet sich ab, dass die Opposition mit ihrer Zweidrittelmehrheit die Regierung vollständig blockieren kann. Um zumindest zu verhindern, dass das Parlament nach dem 6. Januar Minister absetzen kann, besetzt die aktuelle chavistische Mehrheit in den nächsten Wochen den Obersten Gerichtshof neu. Parlamentspräsident Diosdado Cabello kündigte am Donnerstag an, dass alle PSUV-Abgeordneten bis 4. Januar »12 Uhr Mitternacht« anwesend sein werden, um schnellstmöglich begonnene Projekte abzusichern.

Für kommende Woche beruft Präsident Maduro einen »sozialistischen Wirtschaftskongress« ein. Ob dabei Grundsatzprobleme wie die verzerrte Finanz- und Währungspolitik diskutiert werden, bleibt abzuwarten. Bisher orientiert Nicolas Maduro darauf, den Einzelhandel stärker zu kontrollieren. Er will verhindern, dass Geschäfte seiner Ansicht nach »unangemessene« Preise für ihre Produkte verlangen. Im freien Markt orientieren sich die Preise im wesentlichen an den Kursen für den Dollar auf dem Schwarzmarkt. Sie betragen deutlich mehr als das 100-fache der staatlich festgelegten Preise. Neben den aktuellen politischen Problemen sieht sich die Regierung mit dem Umstand konfrontiert, dass die Devisenreserven des Landes fast aufgebraucht sind. Nach Angaben der Zentralbank betrugen sie im November noch 13,4 Milliarden US-Dollar. Dies ist der tiefste Stand seit dem Jahr 2003. Damals lag der Preis für ein Barrel Erdöl bei 30 Dollar.

In seinem wöchentlichen Fernsehprogramm »In Kontakt mit Maduro« fragte der Präsident erstmals, ob sich die Sozialpolitik angesichts der deutlichen Parlamentsmehrheit der Opposition fortsetzen lasse. Es werde schwer, mit dem staatlichen Programm für Wohnungsbau und dem Programm zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs weiterzumachen, warnte Maduro und forderte »das gesamte Land zur Mithilfe« auf.

»Wir brauchen den Geist vom 13. April in dieser neuen Phase der Bolivarischen Revolution«, mahnte Maduro. Am 13. April 2002 hatten sich knapp zwei Millionen Personen vor dem Präsidentenpalast versammelt, um die Rückkehr von Hugo Chávez zu fordern. Dies bedeutete den Anfang vom Ende des am 11. April von der Rechten eingeleiteten Staatsstreichs. Auch der ehemalige Präsidentschaftskandidat der Opposition Henrique Capriles Radonski und der inzwischen inhaftierte Chef der Partei Voluntad Popular, Leopoldo Lopéz, hatten sich an dem Putsch beteiligt.

Maduro nahm zu Plänen der Opposition Stellung, ein Amnestiegesetz für verurteilte Oppositionspolitiker zu erlassen. Er werde kein solches Gesetz akzeptieren, sagte er. Die Verfassung Venezuelas gibt dem Präsidenten die Möglichkeit, ein Gesetz zweimal zurückzuweisen falls es ihm verfassungswidrig erscheint. Die höchste Instanz ist der Oberste Gerichtshof. Erklärt er ein Gesetz für verfassungskonform, tritt es auch ohne die Unterschrift des Präsidenten in Kraft, er hat kein Vetorecht.

Maduro appellierte an seine Unterstützer, gegen eine »Rette sich wer kann«-Mentalität in den Institutionen anzukämpfen. In den nächsten Tagen werden zahlreiche Konferenzen mit dem politischen Bündnis Gran Polo Patriotico und der Vereinigten Sozialistischen Partei stattfinden.

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