Halb krank und halb gesund?
Teilarbeitsbefreiungen aus gesundheitlichen Gründen kommen in Schweden immer mehr in Mode und sollen noch ausgeweitet werden
Die Teilzeitkrankheit wird in deutschen Medien derzeit skeptisch diskutiert, in Schweden und den nordischen Nachbarländern Dänemark, Norwegen und Finnland ist sie dagegen ein alter Hut. Vor allem in Schweden setzte man sehr frühzeitig auf eine Flexibilisierung der Krankschreibungsniveaus, weg vom schwarz-weißen »Entweder bist du krank oder gesund«.
»Schon seit dem Ende der 80er Jahre können in Schweden Arbeitnehmer im Krankheitsfall ihre Arbeitszeit auf 50 Prozent halbieren«, sagt Cecilia Udin von der staatlichen Krankenkasse Försäkringskassan (FK). 1990 wurde hier wegen der hohen Kosten, aber auch um mehr kranke Arbeitnehmer schneller ins Arbeitsleben zurückzuführen, zusätzlich die Möglichkeiten einer Krankschreibung im Umfang von 25 und 75 Prozent eingeführt. Es dauerte Jahre, bis sich diese neuen Zwischenstufen auch in der Praxis durchsetzten. Vereinfacht ausgedrückt waren 2014 laut FK-Statistik 69 Prozent aller krankgeschriebenen Schwedinnen zu 100 Prozent krank, 17 Prozent zu 50 Prozent, 9,2 Prozent zu 25 Prozent und knapp 5 Prozent zu 75 Prozent. Männer nehmen Teilzeitkrankschreibungen etwas weniger in Anspruch als Frauen.
Schwedische Frauen greifen etwas mehr auf Teilzeitkrankschreibungen zurück als Männer.
Laut Krankenkassenstatistik waren 1998 72,82 Prozent der kranken Schwedinnen zu 100 Prozent krangeschrieben, 17,47 Prozent zu 50 Prozent, 3,7 Prozent zu 25 Prozent und 3,16 Prozent zu 75 Prozent.
2007 war das niedrigste Jahr für Vollzeitkrankschreibungen. 60,28 Prozent der Versicherten waren zu 100 Prozent krankgeschrieben; 21,54 Prozent zu 50 Prozent; 13,07 Prozent zu 25 Prozent und 5,1 Prozent zu 75 Prozent.
2014 waren 68,82 zu 100 Prozent krank, 17 Prozent zu 50 Prozent, 9,2 Prozent zu 25 Prozent und 4,98 Prozent zu 70 Prozent. ba
Der Arzt befindet über die Krankenschreibungsstufe. Dann muss der Patient mit dem Attest einen Antrag bei der FK stellen. Die Verteilung von Arbeits- und Krankenzeit wird mit einem persönlich zugeordneten Sachbearbeiter besprochen. Vom Arbeitgeber wird die Hälfte des Lohnes bezahlt, die andere Hälfte als Krankengeld von der FK. Gleiches gilt im entsprechenden Verhältnis für die 25-Prozent-Krankschreibung und die 75- Prozent-Krankschreibungen. Für die Teilzeitkrankschreibungen gibt es keine zeitliche Befristung.
Personen, die in Branchen arbeiten, wo diese Verkürzung schwierig ist - etwa bei Fernfahrern - können auch im Wechsel einen Tag voll arbeiten und am nächsten Tag krankgeschrieben sein. Doch die Ausnahmeregeln sind begrenzt. »Eine Woche arbeiten und dann eine Woche krank sein, ist nicht möglich. Da zeigt der Arbeitnehmer, dass er eigentlich voll arbeitsfähig ist«, sagt Udin.
»Kurzfristig hilft das System tatsächlich, die Kosten zu senken. Aber Teilzeitkrankschreibungen können auch dazu führen, dass Arbeitnehmer länger krankgeschrieben sind und die Kosten letztlich dadurch höher ausfallen. Grundsätzlich wissen wir nicht, welchen isolierten längeren Effekt die Möglichkeit zur Teilzeitkrankschreibung in Schweden auf unsere Kosten hat«, betont FK-Analytiker Patric Tirmén.
Von 2003 bis 2010 sanken die Krankengeldkosten in Schweden deutlich. 2003 wurde eine intensive Kampagne für die bis dahin seltener genutzten Zwischenstufen einer Krankschreibung im Umfang von 25 Prozent oder 75 Prozent durchgeführt. Aber es gibt keine Untersuchung, die belegt, dass dies zur allgemeinen Kostensenkung bis 2010 geführt hat.
Das Teilzeitsystem ist sehr populär, eine Abschaffung wird nicht diskutiert. Wer lange krank war, ist froh darüber, schrittweise zurück ins Arbeitsleben zu kommen, und nicht von null auf hundert starten zu müssen. Die Krankenkosten spielen in der Debatte derzeit eine geringere Rolle als dieser menschliche Aspekt. Es wird sogar über eine weitere Flexibilisierung in mehr Stufen diskutiert.
Im Übrigen kann auch das Elterngeld in Schweden genutzt werden, um die Arbeitszeit täglich um gewisse Prozentsätze zu verkürzen.
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