Smartphone führt durch NS-Zeit
»Digitaler Stadtrundgang« zu Orten von Verfolgung und Widerstand in Hannover
Der düstere Komplex des hannoverschen Gerichtsgefängnisses, in das Hitlers Schergen 1937 den KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann gesperrt hatten, steht nicht mehr. Ein Mahnmal am einstigen Standort erinnert an das Leid, das politisch Andersdenkende, Widerständler, Zeugen Jehovas und Homosexuelle in dem Gemäuer erdulden mussten. Dass Thälmann dort sechs Jahre lang in qualvoller Isolationshaft saß, wissen selbst viele Hannoveraner nicht. Sie und ihre Besucher können nun mehr über das Gefängnis und dort eingekerkerte Antifaschisten erfahren, wenn sie einen »digitalen Stadtrundgang« unternehmen zu Orten, die mit der Nazi-Herrschaft verbunden waren. Zuhause am PC ist das möglich oder aber - wesentlich eindrucksvoller - mit Smartphone oder Tablet in der Hand direkt an 30 historisch bemerkenswerten Plätzen. Zu ihnen lassen sich dann vor Ort mit dem mobilen Medium viele Informationen, historische Fotos und auch kurze Filme abrufen.
Ausgewählt hat sie das »Netzwerk Erinnerung und Zukunft« zusammen mit dem Stadtjugendring; beide hatten sie das Projekt unlängst vorgestellt. Sei Ziel sei es, so die Initiatoren, mit Gegenwartstechnik ein Kapitel hannoverscher Geschichte neu erlebbar zu machen. Am Gefängnis beispielsweise erleben die Betrachter beim Blick auf das Display etwas von der bedrückenden Atmosphäre, die von den hohen Mauern des 1964 abgerissenen Bauwerks ausging. Ähnliche Empfindungen mag das festungsartig anmutende Polizeipräsidium aus der Kaiserzeit auslösen, in dem die Gestapo und die »Zigeunerzentrale« ihren Sitz hatten. Die Rundgangsseiten berichten dazu vom Schicksal des deutschen Boxmeisters »Rukeli« Trollmann, einem Sinto. Er wurde in der Polizeiburg misshandelt, wurde im Gesicht so übel zugerichtet, dass ihn seine Brüder kaum wiedererkannten.
Ganz in der Nähe erinnert ein weiteres Ziel an die Grausamkeit des Regimes. Eine Ehrengrabstätte, in der 386 Zwangsarbeiter ruhen. Sie waren kurz vor Kriegsende von SS-Männern auf einem städtischen Friedhof erschossen und in Massengräbern verscharrt worden. Und wieder vermittelt der Blick aufs Display etwas, das vor allem jüngeren Menschen kaum bekannt sein dürfte: Amerikanische Soldaten, die nach ihrem Einmarsch von dem Massaker erfahren hatten, zwangen hochrangige Mitglieder der Nazipartei NSDAP, die Ermordeten auszugraben und auf dem Ehrenfriedhof beizusetzen. Der Begräbnisstätte gegenüber liegt Hannovers beliebtestes Ausflugsziel: der Maschsee. Auch ihn haben die Rundgangmacher in ihrem Stadtplan aufgenommen. War doch das Gelände, auf dem er 1936 angelegt wurde, zuvor ein Ort brauner Barbarei: Das Regime ließ dort mit Propagandagetöse »undeutsche« Bücher verbrennen. Abgebrannt ist auch die Synagoge. Sie wurde in der Reichspogromnacht ein Raub der Flammen. Ihr damaliger Standort steht ebenso auf dem Rundgangsprogramm wie ein türkisches Restaurant, dessen Vorgänger ein »Sturmlokal« der SA gewesen war. Von dort aus starteten die Schlägertrupps zu ihren Terroraktionen, beispielsweise zum Besetzen des Gewerkschaftshauses. Dieses Gebäude ist ebenfalls Teil des Stadtrundgangs wie auch »Judenhäuser«. In ihnen hatte Hannovers NS-Führung über 1000 Menschen zusammengepfercht, ehe sie zur Vernichtung in Konzentrationslager abtransportiert wurden.
Wer diese und weitere Zeugnisse der Nazigräuel persönlich oder virtuell besuchen und mehr über sie erfahren möchte, findet den Stadtrundgang auf der Internetseite www.abnahme3.tricas.de.
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