Aus der Traum
Deutschlands Volleyballer verpassen nach knapper Niederlage gegen Weltmeister Polen die Olympischen Spiele
Georg Grozer lag am längsten auf dem Boden. Er wusste: Für ihn war’s das. »Das war mein letztes Spiel mit der Nationalmannschaft. Ich habe meiner Familie versprochen: Nach Rio ist Schluss!« In Brasilien hatte Deutschlands bester Volleyballer noch einmal Olympische Spiele erleben wollen, doch dieser Traum ist jetzt schon futsch. Die deutschen Volleyballer ließen am Sonntag im Spiel um Platz drei des Qualifikationsturniers von Berlin die letzte Chance auf dessen Erhalt aus und müssen nun vier Jahre bis zur nächsten Gelegenheit warten. Gegen Polen verloren sie die entscheidende Partie knapp mit 2:3. Damit darf nun der Weltmeister im Mai nach Tokio reisen, um dort einen der letzten Olympiaplätze zu ergattern.
Nachdem Deutschland im Halbfinale am Samstag Olympiasieger Russland mit 1:3 unterlegen war und Polen gegen Europameister Frankreich 0:3 verloren hatte, kämpften am Sonntag beide Teams um das Überleben im Kampf um die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro. Die Russen und Franzosen spielten im Anschluss im Finale um das einzige in Berlin vergebene Direktticket nach Brasilien, das sich schließlich Russland mit 3:1 sicherte.
Der erste Satz war lange hart umkämpft. Durch eine Serie von Grozer, der erst am letzten Turniertag seinen gefürchteten Aufschlagrhythmus gefunden hatte, konnten sich die Deutschen schließlich doch absetzen und den Satz mit 25:20 für sich entscheiden. Wie schon am Freitag musste die deutsche Mannschaft dabei im Grunde ein Auswärtsspiel bestreiten, da die Mehrzahl der 7200 Fans in der Max-Schmeling-Halle aus Polen angereist war und sich schon vor Wochen die Tickets gesichert hatte.
Dieser Zuspruch selbst im - zugegeben sehr nahen - Ausland ist für Volleyballer in Deutschland derzeit undenkbar. In Polen sind die Sportinteressierten in ihrer Gunst seit einigen Jahren aus den von Randalen und Ausländerhass geprägten Fußballstadien in die Volleyballhallen gewandert. Die Politik unterstützt den Verband aktiv und die Klubs schwimmen im Geld finanzstarker Sponsoren. Der Titel für die polnische Nationalmannschaft bei der Heim-Weltmeisterschaft 2013 war da fast logische Konsequenz.
Seitdem konnte sie an diese Leistungen jedoch nicht mehr ganz anknüpfen. Schon bei der Europameisterschaft im Oktober 2015 war im Viertelfinale gegen Außenseiter Slowenien fast sensationell Endstation. Und nach dem Sieg gegen Polen in der Gruppenphase in Berlin rechneten sich die Deutschen nun auch in diesem Entscheidungsspiel gute Chancen aus, doch der Weltmeister schlug eindrucksvoll zurück.
In Satz zwei lagen die Gäste lang knapp vorn und konterten auch eine erneute Serie der Deutschen mit vier Blöcken in Serie, zwei davon gegen Hauptangreifer Grozer. Polen kam mit einem 25:22 zum Ausgleich. Der dritte Satz ging dank starker deutscher Aufschläge wieder an die Gastgeber, die nun nur noch einen Satz zum Weiterkommen brauchten.
Doch die Flatteraufschläge von Polens Mateusz Mika ließen die Deutschen in Satz vier verzweifeln. Eine Vier-Punkte-Führung wurde wieder hergegeben, genauso wie ein Matchball. Polen glich erneut aus, und wie schon beim letzten Aufeinandertreffen in der Gruppenphase am Freitag musste der Tiebreak entscheiden. Den gewannen dieses Mal die Gäste mit 16:14. Sie tanzten ausgelassen im Kreis und ließen Grozer enttäuscht auf dem Boden zurück.
Der gebürtige Ungar wird vermutlich nicht der einzige Abgang für die deutsche Nationalmannschaft sein. Die nächste Entscheidung wird von Bundestrainer Vital Heynen erwartet, der noch einmal betonte, dass seine Mannschaft ein starkes Turnier gespielt hatte: »Wir sind am Ende gegen die Europameister, Olympiasieger und Weltmeister ganz knapp ausgeschieden«, sagte der Belgier, der schon vorher kritisiert hatte, dass Europa nur so wenige Olympiaplätze erhalten hatte. Zu seiner eigenen Zukunft hielt er sich am Sonntag noch bedeckt: »Ich habe mir schon meine Gedanken gemacht, aber dieser Tag ist nicht der richtige, darüber zu sprechen«, machte er noch ein Geheimnis aus seiner Entscheidung.
Kapitän Marcus Böhme ist sich jedoch sicher, wie die ausfallen wird: »Vital hat bereits ziemlich deutlich erklärt, dass er nach dem Sommer Schluss macht. Ich denke nicht, dass er da noch einmal umschwenkt.« Leistungsträger wie Böhme, Jochen Schöps oder Lukas Kampa, die lange Heynens Vertrauen genossen haben, könnten ihr Schicksal an das des Bundestrainers koppeln, so dass mit dem verlorenen Spiel gegen Polen der Generationenwechsel eingeläutet worden sein dürfte. Nachwuchstalente wie Simon Hirsch oder Tom Strohbach erhielten in Berlin zwar einige kurze Einsätze, werden jetzt aber mehr Verantwortung übernehmen müssen. Die Alten können sie jedoch noch lange nicht adäquat ersetzen.
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