Brillentausch im Tierwohlstreit
Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft erhält den Negativpreis »Rosa Brille«
»Weil ihr so grandios verschleiert, werdet ihr von uns gefeiert!« skandieren die mit überdimensionierten rosa Brillen geschmückten Preisverleiher auf dem Weg zum Gebäude des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG). Dort wartet bereits ZDG-Geschäftsführer Thomas Janning vor den Toren. Er erhält den diesjährigen Negativpreis für seine »Imagewerbung ohne Substanz« – die Geflügel-Charta. Die PR-Abeilung des ZDG war vorbereitet: Janning überreicht seinerseits eine violette Brille samt Werbematerial an den Laudator.
In einer ironischen Ansprache begründet dieser die Wahl des Preisträgers. Es sei nicht einfach gewesen bei der »hervorragenden Lobbyarbeit«, die die Fleischindustrie prinzipiell leiste. Doch letztlich habe die 2015 herausgebrachte Geflügel-Charta die Jury überzeugt. Verliehen wurde die Rosa Brille von der Gruppe »Grüne Woche demaskieren!«, die seit drei Jahren auf dem Messegelände der Grünen Woche in Berlin aufsehenerregende Aktionen zum Thema Tierrechte veranstaltet. 2014 erklettern sie den Funkturm auf dem Gelände. Sie spannten ein Transparent, so dass die ankommenden Besucher der Landwirtschaftsmesse mit den Worten »Bloß nicht genau hinsehen« begrüßt wurden. Der Tiertransporter eines Messeausstellers trug die Aufschrift »Wir transportieren Tierschutz«. Die Aktivisten besetzten ihn kurzerhand.
Mit der Verleihung der »Rosa Brille 2016« an den ZDG für die Geflügel-Charta will die Gruppe auf die Kluft zwischen Außendarstellung und Alltag der Geflügelindustrie hinweisen. Deren Zentralverband setzt sich laut der freiwilligen Selbstverpflichtung für Tierwohl, Ressourcenschonung und soziale Verantwortung ein. Janning hatte die Charta dem Bundeslandwirtschaftsminister übergeben. Mit Großplakaten, einer Internetseite und einem YouTube-Video machte der Zentralverband auf die Herausgabe der Geflügel-Charta aufmerksam. Für Sandra Franz, Mitglied von »Grüne Woche demaskieren!«, eine »bloße Werbemaßnahme, die die Branche in einem besseren Licht darstellen soll. Das ist die Reaktion auf anhaltende Kritik.« Zudem bestehe die Charta nur aus Floskeln, die nichts Konkretes hergäben. Laut Franz »ein Witz«.
Die Aktivisten wollen nicht, dass die Geflügelindustrie den Verbrauchern die »Rosa Brille« aufsetzt. Vor dieser Gefahr warnt die Gruppe mit der Auszeichnung. Zudem »muss man der Fleischindustrie zeigen, dass sie nicht unbeobachtet bleibt«, so Franz. Der ZDG stehe für Transparenz und Offenheit. Daher lade er Interessierte zu einem Stallbesuch ein. Dies bekräftigte das von ihm ausgehängte Werbematerial.
Ruft man die Internetseite der Geflügel-Charta auf, stößt man direkt auf die Interpretation von Transparenz des ZDG. Gleich als erstes steht dort der Artikel »Wenn das Drehteam unangekündigt vor dem Hof steht«. In ihm erklärt der Verband, dass er doch nicht so viel von unangekündigtem Besuch von Journalisten hält. Denn »gelebte Offenheit und Transparenz kann doch wohl kaum gleichbedeutend sein mit einem unangekündigten und überfallartigen Besuch in unseren Betrieben!«, schreibt der ZDG. Für Tierrechtler bestätigten solche Beiträge ihre Meinung von den Geflügellobbyisten. »Grüne Woche demaskieren!« entkräftet auf ihren knallrosa Flyern die Darstellungen des ZDG mit einem Faktencheck: So könne etwa nicht für Tierwohl gesorgt werden, wenn 25 Hühner auf einem Quadratmeter untergebracht werden. »Federpicken und Kannibalismus sind die Folge.« Auch der erhöhte Wasserverbrauch sowie die jahrelang kritisierten Arbeitsbedingungen greifen sie im Flyer auf. »Die Fleischindustrie ist schon länger in der Kritik, Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen beispielsweise aus Osteuropa einzustellen«, weiß Sandra Franz. Es sei klar, dass die Industrie viel Geld in die Hand nehme, um mit inhaltsleeren Werbekampagnen Kritik abzuwenden und eine brutale Industrie zu beschönigen, anstatt tatsächliche Maßnahmen zur Herstellung des Tierwohls zu ergreifen.
»Grüne Woche demaskieren!« veranstaltet zusammen mit der studentischen Tierbefreiungsorganisation Animal Uni und dem Umweltreferat des AStA der TU Berlin auch eine Veranstaltungsreihe. Dort wird es vom 11. bis 29. Januar Vorträge wie »Kapitalismus, Wachstum und Naturzerstörung«, »Fleischvermarktung – Die Werbestrategien der Tierindustrie« oder »Bio-vegane solidarische Landwirtschaft« geben. Die Gruppe analysiert, klärt auf, sucht Alternativen. Das ist Franz auch wichtig: »Es wird aufgezeigt, was falsch läuft, aber auch, wie es besser geht.«
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