Verloren auf dem Weg nach oben
Erstmals konnte die Methanmenge bestimmt werden, die in einem flachen Meeresgebiet nach einer Bohrhavarie ausströmt. Forscher fanden Hinweise, wo das Treibhausgas verbleibt. Von Ingrid Wenzl
Rund 25 Jahre ist es her, dass ExxonMobil, damals noch Mobil North Sea, bei Ölbohrungen in der Nordsee auf ein flaches Gasvorkommen stieß und dabei eine erhebliche Explosion auslöste. Sie hinterließ in 96 Metern Wassertiefe einen 20 Meter tiefen Krater mit einem Durchmesser von 60 Metern und setzte große Mengen Methan frei. »Die (Methan-)Konzentrationen, die wir an der Oberfläche feststellten, sind die höchsten, die ich je im Meer messen konnte«, berichtet Gregor Rehder, Meereschemiker am Leibniz Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW), der 1994 im Rahmen seiner Dissertation die erste Expedition zu dem Unglücksort, 200 Kilometer östlich von Schottland, leitete. Der gemessene Ausstoß machte rund ein Viertel der Gesamtemissionen von Methan in der Nordsee aus.
Rund zwanzig Jahre später ist der Krater immer noch aktiv. Gasbläschen, wenn auch deutlich weniger als 1990, steigen zur Wasseroberfläche empor. Als 2010 die Ölplattform »Deepwater Horizon« im Golf von Mexiko explodierte und eine der größten Umweltkatastrophen der Geschichte auslöste, wuchs die Sorge, Ähnliches könne auch in dem empfindlichen Ökosystem der Nordsee geschehen. Die Presse erinnerte an den Blow Out von 1990, und die britische Regierung geriet zunehmend unter Druck.
Deshalb initiierte das Britische Ministerium für Energie und Klimaschutz (DECC) 2011 eine umfangreiche Studie. Die Leitung übernahm Ira Leifer von Bubbleology Research International, der bereits an den Untersuchungen nach der Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko maßgeblich beteiligt war. Beteiligt war neben dem British Geological Survey auch Peter Linke vom GEOMAR Helmholtzzentrum für Ozeanforschung Kiel. Finanziert wurde die Studie von ExxonMobil, dem Nachfolger des Verursachers des Blow Outs. In einer Sonderausgabe des Fachjournals »Journal of Marine and Petroleum Geology« wurden kürzlich die Ergebnisse veröffentlicht.
Es zeigte sich, dass noch heute an der Hauptaustrittsstelle 90 Liter Methan pro Sekunde aus dem Meeresboden ins Wasser entweichen. Allerdings - und das überraschte die Forscher - kommt nur ein Bruchteil davon an der Wasseroberfläche an und wird in die Atmosphäre freigesetzt. Die Wissenschaftler schlagen zwei mögliche Erklärungen dafür vor.
»An natürlichen Methanquellen findet sich eine spezielle Fauna, Bakterien, die dieses Gas als Energiequelle nutzen und dabei zu CO2 umwandeln«, erläutert der Biologe Linke, der drei der Expeditionen zur Austrittsstelle leitete. Eine derartige Fauna fanden die Wissenschaftler auch in Sedimentproben vom Krater und dem umliegenden Wasser. Von Bedeutung dürfte noch ein weiteres Phänomen sein, das die GEOMAR-Forscher vom Tauchboot aus beobachteten: Das Gas steigt nicht gerade, sondern in Wirbeln auf. »Das verlängert ihre Wegstrecke nach oben. So haben sie mehr Zeit für einen Gasaustausch mit dem umliegenden mit Methan untersättigten Wasser«, erklärt Linke. Deshalb enthielten die oben ankommenden Gasblasen kaum noch Methan.
Die Forscher registrierten jedoch große jahreszeitliche Unterschiede: In den Sommermonaten ist das Wasser der Nordsee stark geschichtet. Die sogenannte Sprungschicht trennt das wärmere Oberflächenwasser vom kälteren Wasser und bildet eine natürliche Barriere für das aufsteigende Methan. »Zwar durchschlagen Blasen die Sprungschicht, aber das Gas wird dabei abgelenkt«, so Linke. Von November bis Mai dagegen sorgen Wind und gelegentlich über 20 Meter hohe Wellen in der Nordsee für eine stärkere Durchmischung des Wassers. Wegen der extremen Wetterverhältnisse konnten die Forscher in dieser Periode nicht vor Ort messen, wie viel Methan an die Atmosphäre abgegeben wird. Aber sie gehen davon aus, dass dies ungehinderter geschieht als im Sommer. In einem Gebiet von vier mal vier Kilometern über dem Krater wurden in der Atmosphäre die höchsten Konzentrationen dieses Treibhausgases gemessen.
Langzeituntersuchungen mit so genannten Landern - Forschungsplattformen am Meeresboden - weisen außerdem darauf hin, dass es am verlassenen Bohrloch immer wieder zu Gaseruptionen kommt. So konnte im Dezember 2011 ein größerer Ausbruch akustisch aufgezeichnet werden. Gestützt wird dieses Ergebnis durch Messungen stark erhöhter Methan-Konzentrationen im Wasser und Beobachtungen von Strukturveränderungen am Meeresboden.
Die Forscher mahnen, die Erkenntnis, dass über dem Unfallort deutlich weniger Methan frei werde als am Meeresboden austritt, nicht als Entwarnung zu verstehen. »Der Einfluss des Methankraters auf das Gesamtklima ist zwar (heute) nur noch sehr gering, wenn man jedoch bedenkt, wie viel Methan über die letzten 25 Jahre insgesamt freigesetzt worden ist, ist sein Beitrag erheblich«, erklärt Linke. Zudem bleibt die Ungewissheit, was mit dem starken Treibhausgas, das im Sommer in den unteren Wasserschichten verbleibt, im Winterhalbjahr geschieht: »Darüber besteht noch eine beträchtliche Forschungsslücke«, konstatiert Rehder, der als Autor an drei der 13 Artikel im »Journal of Marine and Petroleum Geology« beteiligt war.
Christoph Lieven von Greenpeace Deutschland sieht in der Bilanz der Experten denn auch einen hinreichenden Grund für einen zügigen Ausstieg aus derartigen »Hochrisikotechnologien«. »An diesem Beispiel sieht man ganz klar, dass jede Bohrung eine Gefährdung darstellt und zwar über Jahrzehnte hinweg«, warnt er. Das Klimaschutzabkommen in Paris habe jüngst wieder gezeigt, dass Unfälle, wie die Gasexplosion vor 25 Jahren, in den Klimaschutzplänen schlichtweg vergessen würden. Auch wenn nur ein Teil des austretenden Gases oben ankäme, »alles (zusätzliche) Methan ist zu viel«, so Lieven.
Mit der Studie im Auftrag des DECC ist die Forschung an dem Gaskrater nicht vorbei. Nach Überzeugung von Linke muss dieser überwacht werden, solange dort weiter Gas austritt. Das GEOMAR plant seine nächste Fahrt für August dieses Jahres.
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