Online bestellen, persönlich abholen
Landwirte verkaufen ihre Produkte im Internet und bringen sie dann zu einem Bauernmarkt der besonderen Art
Angelika Fietze-Glawe ist Landwirtin, steht aber seit zwei Jahren nicht mehr auf Märkten. Wegen der abnehmenden Zahl der Kundschaft ist es für kleine Erzeuger schwieriger geworden, überhaupt einen Stand zu bekommen. Und dann muss sich das Ganze auch noch rentieren. Dennoch gibt es ihre Gärtnerei in Märkisch-Luch bei Berlin weiterhin, und Angelika Fietze-Glawe kommt an drei Tagen pro Woche nach Berlin, um ihr Gemüse und Obst zu verkaufen. Nur statt Markt heißt das Konzept nun: Food Assembly.
»Assembly« heißt auf Englisch Versammlung. Und bei einer Food Assembly versammeln sich verschiedene Erzeuger für ungefähr zwei Stunden und verteilen die Produkte, die die Kundschaft vorher im Internet bestellt hat. Fietze-Glawe steht dann wie auf einem Markt zwischen Kisten mit einer Waage an einem Tisch. Die Menschen, die den Stand ansteuern, brauchen nur ihren Namen und eine Nummer zu sagen, um die Lebensmittel in die Hand gedrückt zu bekommen. Die Bezahlung ist per Internet passiert, denn wer hier kauft, ist als Mitglied dieser Assembly registriert. Fünf solcher Assemblys beliefert Fietze-Glawe so zusammen mit einer Hilfskraft. Das Angebot variiert je nach Assembly, aber neben Obst und Gemüse gibt es oft Eier, Käse und Fleisch, manchmal auch ausländische Produkte.
Das neue Konzept ist für kleine Erzeuger wie die Luch-Gärtnerei nützlich, denn sie kann und will auf ihren paar Hektar nicht so viel produzieren, wie der Großhandel brauchen würde. »Ich bin mehr auf der Schiene, Direktkontakt zum Verbraucher zu haben«, sagt die Bäuerin. »Da krieg ich gleich meine Streicheleinheiten: Mann, das sieht toll aus, das ist aber knackig, so hab ich das noch nie gehabt.«
Im Berliner Stadtteil Kreuzberg kommt eine Assembly, die die Luch-Gärtnerei beliefert, jeden Donnerstag in einem Café unter. Wenn es nicht zu kalt ist, baut Angelika Fietze-Glawe ihren Stand auf dem Gehsteig auf. Die Bäuerin hat den Eindruck gewonnen, dass die Leute sich für ihren Hof interessieren: »Die möchten gerne wissen, was wir machen. Es ist ein Geben und Nehmen.« Es seien schon Leute zum Helfen auf den Hof gekommen. Bald will Fietze-Glawe alle von ihr belieferten Assemblys bitten, ihr beim Bau von Hochbeeten zu helfen.
Diese Kooperation ist vom Konzept »Solidarische Landwirtschaft« bekannt. Dabei verpflichten sich die Mitglieder zur wöchentlichen Abnahme der Lieferungen zu einem Festpreis, unabhängig von Art und Umfang der Produkte. Dieses Vertriebskonzept verfolgt die Luch-Gärtnerei ebenfalls. Fünf Abholstellen mit insgesamt 30 Mitgliedern beliefert sie, zu einem geringeren Preis als die Food Assembly. Das Fazit von Angelika Fietze-Glawe: »Beide Konzepte ergänzen sich. Sehr gut sogar.«
Auch Food-Assembly-Mitglieder werden für die Probleme der Bauernhöfe sensibilisiert, wie Trockenheit und unregelmäßiger Absatz. Anna zum Beispiel sagt, sie versuche, möglichst oft hier zu kaufen, denn sie wisse, dass Konstanz für den Hof wichtig ist. Dabei kann ihre Nachfrage gar nicht ganz gestillt werden. So würde sie sehr gerne Milch direkt beim Bauern kaufen, weil sie es »Wahnsinn« findet, wie niedrig die Preise sind und dass beim Bauern überhaupt nichts hängen bleibe. »Aber bis jetzt war bei meiner Food Assembly noch keiner dabei, der das angeboten hat.«
In der Hauptstadtregion ist es wegen der agrarischen Großstrukturen Brandenburgs generell schwierig, Erzeuger zu finden, die den Ansprüchen von Food Assembly genügen, beklagt Veronica Veneziano vom Organisationsteam. Vor allem auf Käse und Brot treffe das zu: »Käsehersteller, die wirklich traditionell arbeiten, und Bäcker, die wirklich backen, und nicht fertige Backmischungen verkaufen, sind in Berlin schwer zu kriegen. Manchmal fehlen ihnen die Kapazitäten, Assemblys zu beliefern.« Hinzu kommt der Anspruch an Regionalität: Eine Bäckerei im Raum Berlin, die ihr Getreide aus Süddeutschland bezieht, darf bei Food Assembly nicht mitmachen. Regionalität bedeutet hier einen Radius von maximal 150 Kilometern. In Berlin betrage die durchschnittliche Entfernung zum Herkunftsort der Produkte weniger als 50 Kilometer, berichtet Veneziano.
Es geht um regionale Wertschöpfung. Zu diesem Zweck wurde das Konzept Food Assembly 2010 in Frankreich ersonnen. 2014 expandierte es nach Deutschland, Großbritannien, Spanien und Italien, 2015 nach Belgien. Exportiert wird vor allem die Online-Plattform. Food Assembly ist ein Unternehmen mit Sitz in Paris, wo knapp die Hälfte der europaweit rund 100 Angestellten arbeitet. Es sucht die Erzeuger aus und macht Vorgaben zu Landbau und Tierhaltung, zertifiziert aber nichts. In Deutschland gibt es 17 Food Assemblys, die meisten davon in Berlin. 25 weitere sind in Vorbereitung. In Frankreich gibt es fast 800 solcher Projekte. Einige haben über 2000 Mitglieder, sagt Veronica Veneziano. Manch eine französische Abholstelle finanziere sich komplett durch die Food Assembly. Die Gastgeber erhalten von jedem Erzeuger acht Prozent der Verkaufseinnahmen. Die Firma hinter Food Assembly bekommt ebenfalls acht Prozent. »Der Produzent bekommt über 80 Prozent vom Endpreis«, hält Veneziano fest. »Im Großhandel sind es zwischen 20 und 40 Prozent.«
Das Unternehmen Food Assembly ist in Deutschland noch nicht rentabel. Das soll in zwei bis drei Jahren der Fall sein. »Dafür werden 300 bis 400 Assemblys nötig sein«, sagt Veneziano. Bis dahin schießt das französische Mutterunternehmen zu.
Trägt Food Assembly nicht dazu bei, dass Märkte noch schlechter besucht werden, weil sich alles ins Internet verlagert? Angelika Fietze-Glawes Gesicht wird ernst: »Die Zeit ist so, dass das Internet vorrangig ist. Wenn ich als Kleinbauer da nicht mitgehe, bin ich verloren.« Während der Bio-Verband Naturland das Konzept als »vielversprechend« bezeichnet, äußert sich der Verband Bioland skeptischer: Lieferservices gebe es bereits und ein Marktstand mit zusätzlicher Online-Bestellmöglichkeit sei wegen der Laufkundschaft besser und nicht unbedingt teurer. Allenfalls für Erzeuger, die nicht genug Absatzwege haben, sei Food Assembly reizvoll, findet Bioland. Deshalb sei das Konzept keine Konkurrenz, sondern eine Ergänzung zum Wochenmarkt. Bezahlt haben sie vorher per Internet.
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