Konzentriertes Erben
Staat profitiert kaum von Vermögensübergabe
Eine gewaltige Erbschaftswelle rollt durchs Land. Die kaum durch Krisen in ihrer Erwerbsbiografie gestörte westdeutsche Wirtschaftswundergeneration gibt derzeit ihre Vermögen an die Nachkommen weiter. Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzen in einer am Mittwoch veröffentlichten Untersuchung, dass von 2011 bis 2020 jedes Jahr 200 bis 300 Milliarden Euro an Erbschaften und Schenkungen übertragen werden. Allerdings ist die genaue Zahl »nicht bekannt, weil es keine verlässlichen Statistiken gibt«, wie Studien-Coautor Stefan Bach einräumt.
Klar sei hingegen, dass die Verteilung der Erbschaften und Schenkungen »stark konzentriert« ist. Dies ist wenig überraschend, denn Erbschaften sind das Spiegelbild der hohen Vermögenskonzentration. Erbschaften über 500 000 Euro, die etwa ein Drittel der Gesamtsumme ausmachen, gehen an gerade einmal 1,5 Prozent der Begünstigten. »Die 0,08 Prozent der Fälle mit Transfers über fünf Millionen Euro erhalten 14 Prozent des Übertragungsvolumens und gut die Hälfte der Unternehmensübertragungen«, heißt es in der Studie. Gerade die großen Vermögen bestünden vor allem aus Unternehmen oder Unternehmensbeteiligungen.
Über die Erbschaftswelle müsste sich eigentlich auch der Fiskus freuen. Allerdings hält sich die Begeisterung der Länder, in deren Kassen die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer ausschließlich fließen, in Grenzen. Normale Erbschaften wie selbstgenutztes Wohneigentum und übliches Finanzvermögen werden wegen der hohen Freibeträge für enge Verwandte in den meisten Fällen nicht steuerlich veranlagt. Unternehmensübertragungen, die sich laut den DIW-Experten auf 30 bis 40 Milliarden Euro pro Jahr summieren, bleiben derzeit generell weitgehend steuerfrei. Das Erbschaftsteueraufkommen insgesamt wird sich laut den DIW-Schätzungen in den nächsten Jahren auf 4,5 bis 5 Milliarden Euro belaufen.
Die allzu üppigen Firmenprivilegien hatten das Bundesverfassungsgericht auf den Plan gerufen, das Ende 2014 eine Korrektur der Unternehmensstreuerreform bis Mitte 2016 verlangte. Ein erstes Reformkonzept des Bundesfinanzministeriums, laut dem die Möglichkeiten zur steuerfreien Übertragung für große Unternehmen etwas eingeschränkt werden sollten, stieß auf den Widerstand von CSU und Wirtschaftsverbänden. Union und SPD wollen sich noch im ersten Vierteljahr verständigen. »Mit ihrer Strategie einer ›minimalinvasiven Reform‹ hat sich die Große Koalition im Geflecht der widerstreitenden Ziele verfangen«, bewertet DIW-Experte Bach.
Ein Ausweg aus dem Dilemma könnte in der Vereinfachung bestehen: Die Steuervergünstigungen werden radikal abbaut, während gleichzeitig die Steuersätze stark abgesenkt werden. Laut Bach könnte das Steueraufkommen damit steigen - aber nur langfristig: Mit Blick auf die anstehende Reform gab es Vorzieheffekte. Dadurch sind in den letzten Jahren 170 Milliarden Euro per Schenkungen übertragen worden, steuerfrei natürlich. Dem Staat entgingen dadurch Einnahmen von 45 Milliarden Euro.
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