Die Linke muss konkreter werden
Die SPD schaltet in den Wahlkampfmodus und beschwört Symbolik für die arbeitende Mitte. Ein Weckruf von Joachim Bischoff und Björn Radke
Nach den jüngsten Umfragen bezweifelt eine Mehrheit der BundesbürgerInnen, dass Deutschland die aktuelle Flüchtlingsproblematik bewältigen kann. 44% unterstützen auch nach den Ereignissen der Silvesternacht in Köln weiter Kanzlerin Angela Merkels Einschätzung, dass Deutschland die Probleme lösen kann.
Im Oktober 2015 waren noch 49 Prozent der Meinung, dass Deutschland die Flüchtlingskrise lösen wird, 48 Prozent waren damals skeptisch. In der sich verschärfenden Flüchtlingsdebatte sinkt die Union einer Umfrage zufolge in der Wählergunst. Im aktuellen Trend rutschen CDU und CSU klar unter 40 Prozent ab; die SPD bleibt in ihrem bekannten Korridor um die 25 Prozent. Zulegen kann die rechtspopulistische AfD auf 9-10 Prozent und die FDP schwankt um 5 Prozent. Die Grünen bleiben bei ihrem Wert um 10 Prozent, DIE LINKE verliert leicht und liegt in den Umfragen zwischen 8 und 10 Prozent.
Bei aller Unsicherheit bei Meinungsfragen, Fakt ist: Der Rechtspopulismus wird in der »Berliner Republik« zu einem politischen Faktor. Mit dem wahrscheinlichen Einzug der Alternative für Deutschland in die Landtage von Baden-Württemberg, Rheinland Pfalz und Sachsen-Anhalt wird die Bildung von Mehrheitsverhältnissen komplizierter.
Bei den Landtagswahlen am 13. März droht der SPD ein weiteres Debakel. Spätestens seit der Einzug der rechtspopulistischen AfD in die drei Landtage absehbar ist, gilt die Abwahl von Rot-Grün in Rheinland-Pfalz als kaum abwendbar: Nach 25 Jahren als Regierungspartei müsste die SPD die Staatskanzlei in Mainz räumen. In Baden-Württemberg wäre es schon ein großer Erfolg, wenn die SPD Juniorpartner der Grünen bleiben könnte, doch ist das keinesfalls sicher.
Und in Sachsen-Anhalt wird sich die SPD bestenfalls erneut als kleiner Partner der CDU wiederfinden. Schlussfolgerung: Die SPD kann nach Ansicht von Parteivize Ralf Stegner bei den kommenden Landtagswahlen erfolgreich sein, wenn sie ihre AnhängerInnen im Kampf gegen Rechts mobilisiert. »Wir schreiben die Wahlen keineswegs ab. Wir kämpfen dafür, damit die politische Rechte sich nicht in den Parlamenten breitmacht.«
Als Anwalt besorgter BürgerInnen und zugleich einem Kurs gegen Rechts wollen die Sozialdemokraten bis zu den Wahlen Mitte März punkten. »Wir müssen dafür sorgen, dass das Land beieinander bleibt«, sagt SPD-Chef Sigmar Gabriel. Dem Koalitionspartner Union warf der Vizekanzler vor, mit ständigen Ablenkungsmanövern die Menschen zu verunsichern. »Wir müssen einfach mal einhalten, was wir versprochen haben, statt jeden Tag eine neue Idee durchs Land zu schicken.«
Zentraler Punkt: Die Bundeskanzlerin habe – so Gabriel und andere SPD-Führungspolitiker –noch wenige Monate Zeit für eine EU-Lösung der Flüchtlingskrise. Die SPD müsse Antworten liefern, wie verhindert werden könne, »dass wir in eine gespaltene Gesellschaft geraten, in der der eine Teil Flüchtlinge begrüßt und der andere Teil Angst davor hat«. Die SPD fordert neben 12.000 neuen PolizistInnen bis 2019 auch fünf Mrd. Euro zusätzlich für ein großes Integrationspaket.
Aber die entscheidende Frage, wie der nach wie vor große Zustrom von Zufluchtsuchenden reduziert werden kann, bleibt völlig unklar. Es fehlt jedwede Positionsbestimmung zur internationalen Flüchtlingshilfe. Auf die Unterstützung der Sozialdemokraten kann sich die Kanzlerin nicht mehr verlassen. Zwei Monate vor den Landtagswahlen geht die SPD-Führung auf größtmögliche Distanz und schiebt der Regierungschefin die Verantwortung für die weiterhin hohen Flüchtlingszahlen zu.
Dabei liegt ein Handlungsparameter nahe: Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) beruft für Ende März einen Sondergipfel zur Umsiedlung syrischer Flüchtlinge ein. Da Europa bisher nur ein Zehntel der weltweit 60 Mio. Flüchtlinge aufnimmt, wird eine Verschärfung der Abweisung oder gar Grenzschließung katastrophale Folgen haben. Die Hilfe für Flüchtlinge muss über die Notversorgung hinausgehen.
Dem UNHCR hat aber mehr und mehr das Geld für humanitäre Aktionen gefehlt. Im 2015 Jahr habe die UN-Organisation von Gebern nur die Hälfte der benötigten sieben Mrd. US-Dollar erhalten. Und für 2016 zeichnet sich keine Trendwende ab.
Neben der Erhöhung des Drucks auf eine Lösung der Flüchtlingsfrage will SPD-Chef Gabriel ein verstärktes Angebot für die arbeitende Mitte der Gesellschaft verdeutlichen. »Die SPD muss auf die arbeitende Mitte der Gesellschaft zielen. Politik für Minderheiten muss die SPD auch immer machen. Aber die Solidarität und der Schutz von Minderheiten werden erst mehrheitsfähig, wenn die arbeitende Mehrheit des Landes weiß, dass sie bei uns gut aufgehoben ist. Dass wir uns um Arbeit und Einkommen kümmern, um Bildung und um faire Teilhabe am Haben und am Sagen im Land. Ich glaube, dass wir den Kurs jetzt konsequent bis 2017 und danach fortsetzen werden.«
Noch hoffen SPD-Linke, dass die Parteiführung mit sich reden lässt und ihren »Mitte-Kurs« sozial verträglicher gestaltet. »Die SPD ist eine sehr diskussionsfreudige Partei. Basta-Politik passt da nicht rein«, sagte die Juso-Chefin Johanna Uekermann. Aber leider bleibt auch die kritische innerparteiliche Opposition in ihrer Gegenposition blass.
Worum müsste es gehen? Seit Mitte der 1990er Jahre hat in Deutschland die Einkommensungleichheit stärker als in vielen anderen europäischen Ländern zugenommen. Der Anteil der Haushalte mit einem mittleren Markteinkommen ist zurückgegangen. Der Sozialstaat hat die wachsende Ungleichheit der Markteinkommen nur zum Teil auffangen können. Immer weniger Haushalte der Unterschicht und der unteren Mittelschicht können von ihren Erwerbseinkünften leben.
Zentrales Ziel der Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik muss daher die Verringerung der Ungleichheit bei den Markteinkommen sein, unter anderem durch den neuen Mindestlohn, aber auch durch die Verbesserung der Erwerbschancen der Haushaltsmitglieder aus den unteren Einkommensschichten und die Ausweitung ihrer Arbeitszeiten.
Aber die SPD beschwört nur die Symbolik für die arbeitende Mitte und übersieht, dass gerade die untere Mittelschicht unter starkem ökonomisch-sozialem Druck steht und daher auch anfällig ist für eine rechtspopulistische Argumentation. Passend zur vorherrschenden Stimmung von Zukunftsangst, Missmut und Unlust ist eine zunehmende Zahl von WählerInnen bereit, Rechtspopulisten eine Chance zu geben.
Da ist es auch kein ernsthafter Gegenentwurf, wenn SPD-Vize Ralf Stegner zwar deutliche Kritik an den Vorschlägen aus der Union zur Lösung der Flüchtlingskrise übt (»CSU-Generalsekretär Scheuer will, dass die Flüchtlinge schon an der Grenze zurückgewiesen werden – also nicht mehr den Rechtsstaat, sondern kurzen Prozess. Er klingt wie Björn Höcke von der AfD.«).
Solange die SPD die arbeitende Mitte nur beschwört und zugleich die Enttäuschung und Frustrationen der unteren Mitte nicht ernst nimmt, solange wird die Glaubwürdigkeitslücke fortbestehen. Mit bloßer Rhetorik lässt sich der Aufwärtstrend für die Rechtspopulisten nicht stoppen. Es geht um Reformperspektiven für die Mittelschichten, darum wie sich deren Lebenssituation verbessern lässt, ohne sie gegen die unteren sozialen Schichten und ein Integrationsangebot für Zufluchtsuchenden auszuspielen.
Leider zögert auch die Linkspartei, einen strategischen Gegenentwurf mit konkreten Schritten vorzulegen. Die Forderung nach einer Linkswende müsste konkretisiert werden. Bernd Riexinger, neben Katja Kipping einer der Vorsitzenden der Partei, weist zu Recht darauf hin, dass DIE LINKE zum »Motor eines Politikwechsels« werden muss, der mehr ist als ein Regierungswechsel.
»Im Zentrum eines linken Reformprogramms steht der Kampf um ein ›neues Normalarbeitsverhältnis‹: Arbeitszeit muss gerechter verteilt werden und jeder muss von seinem Lohn gut leben können. Das ist kein Verzichtsprojekt, in dem die Beschäftigten mit ›weniger‹ auskommen sollen, sondern ein Projekt der Umverteilung – von Zeit und von Profiten. Prekäre Arbeitsverhältnisse müssen zurückgedrängt, Sozialsysteme gesichert und ausgebaut werden. Wir brauchen Renten, die den Lebensstandard garantieren und Menschen vor der Armutsfalle schützen. Es mangelt an Pflegekräften, Lehrpersonal, Ärztinnen, bezahlbaren Wohnungen, kurz: Es knirscht an allen Ecken und Enden, seit die Regierungen den Sozialstaat aushöhlen und das Allgemeinwohl der Schuldenbremse unterordnen.«
Das ist sicherlich eine korrekte Problembeschreibung. Aber die Mosaiklinke von Gewerkschaften, Sozialverbänden etc. und Parteien kommt aus der Defensive nur heraus, wenn sie ein linkes Reformprojekt konkretisiert, für das alle Beteiligten bereit sind zu kämpfen. Ein Politikwechsel kann sich nicht auf Einzelaspekte im nationalstaatlichen Rahmen beschränken, sondern wegen der weit verbreiteten Sorge und Angst vor Armut, Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und der extremen Konzentration von Einkommen und Reichtum nur als ein europäischer Politikwechsel hin zu einem alternativen Sanierungs- und Wachstumsmodell erfolgreich sein.
Die zentrale realwirtschaftliche Ursache der Eurokrise liegt in der ungleichen Entwicklung der Handels- und Kapitalströme. Seit Einführung des Euro werden die wirtschaftlich starken Volkswirtschaften stärker, die wirtschaftlich Schwachen dagegen schwächer. Ohne einen Abbau dieser Ungleichgewichte wird der Euro nicht überleben und sich kein dauerhafter und stabiler Pfad gesellschaftlicher Reproduktion und keine stabile Formation gesellschaftlicher Kompromissbildung finden lassen. Gelingt es aber, einen solchen in gemeinsamer Kraftanstrengung politisch mehrheitsfähig zu machen, wird auch der andauernde Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland und Europa zu bewältigen sein.
Joachim Bischoff ist Mitherausgeber, Björn Radke ist Mitglied der Redaktion von »Sozialismus«. Ihr Text erschien zuerst auf der Website der Zeitschrift.
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