Wo ist die Opposition?
Solange die Bundesregierung so tun kann, als sei sie die einzige Alternative zu sich selbst, wird keine Linkswende gelingen
Ein CSU-Landrat hat jetzt den Rücktritt von Angela Merkel gefordert. Fast. Wie der übergroße Rest der Seehofer-Partei wird der eigenen Kanzlerin per Ultimatum gedroht. Abgeordnete schreiben Briefe für die Presse. Ein Parteienforscher sagt, wenn, ja wenn – dann: könnte es der Kanzlerin »an den Kragen gehen«. Kann. Muss aber nicht. In der Zeitung steht: »Der Druck wächst.«
Zugegeben: Einen solchen Schlagabtausch innerhalb der und zwischen den Parteien, die die Regierung stellen, hat es lange nicht gegeben. Haben also die Illustrierten recht, die eine nach der anderen die »Stimmung kippen« lassen? Was kommt als nächstes? Hier liegt der springende Punkt dieser galoppierenden Erregtheit: Weder hat die krakeelende CSU eine strategische Option jenseits der Großen Koalition noch der rchte Flügel der CDU noch die SPD in ihrer aktuellen Verfasstheit, in der sich mehr und mehr in den Chor der »Kurswechsel«-Rufer einreihen.
Doch die rhetorische Aufwallung erfüllt auch so einen Zweck, der den drei an der Regierung beteiligten Parteien zupass kommen dürfte – einen doppelten sogar: Als Opposition zur Bundesregierung tauchen Linkspartei und Grüne praktisch nicht mehr auf. Teile von Union und SPD haben diese Rolle übernommen. Der Effekt wird in der Medienöffentlichkeit verstärkt, in der vor allem Konfliktnachrichten zählen – zumal, wenn sich sagen lässt, da würde irgendwer in der eigenen Partei, in der eigenen Koalition »rebellieren«.
Eine Folge ist: Die tatsächliche Opposition wird zum Verschwinden gebracht. Linkspartei und Grüne werden meist nur noch als Warner und Mahner wahrgenommen, die sich der Rechtsentwicklung innerhalb der Regierung entgegenstellen – und damit erscheinen sie als Akteure der dort inszenierten Binnenkonflikte: Die Opposition wird, bei aller Kritik an ihr, von vielen dem Merkel-Lager zugeschlagen; ist also keine mehr. Hinzu kommt: Wie soll man nach außen wirksam Alternativen zur Großen Koalition und zum rechten Lager popularisieren, wenn man damit beschäftigt ist, Äußerungen über »Gutmenschen« oder »verwirktes Gastrecht« in den eigenen Reihen zu kommentieren? Oder wenn man auf Bundesebene kritisiert, was man auf Länderebene mitgetragen hat?
Zweitens schafft es der von Regierungsparteien selbst befeuerte »Staatsnotstand«-Diskurs, klassenpolitische Fragen aus der Debatte weitgehend zu eliminieren. Was als »Flüchtlingskrise« verbrämt wird, ist in Wahrheit ein verteilungspolitisches Großdesaster, das nichts mit den Menschen zu tun hat, die hier Zuflucht suchen. Das eigentliche Problem ist die selbst verursachte Handlungsunfähigkeit des Öffentlichen , die von jenen gefordert und per Steuersenkungen, Personalabbau und Privatisierungen ins Werk gesetzt wurde, die nun eine Lösung nur noch mit Grenzschließung, endgültiger Abschaffung des Asylrechts und der Fama vom möglichen Rückzug aus Europa propagieren. Was die Rechtstendenz noch verschärft.
Linkspartei und Grüne allein werden eine Linkswende nicht schaffen. Es geht aber nicht nur um die Frage, ob die SPD zu einer Kursänderung bereit wäre. Nötig wäre vor allem ein lebendiger Widerstand aus der Gesellschaft, der über antifaschistische Proteste hinausgehen müsste.
Wo sind die Gewerkschaften? Wo ist die Mehrheit der Bürger, die sich nicht in die Aufmärsche der »Besorgten« einreiht? Wenn Opposition mehr bedeuten soll, als sich am Ende vor Angela Merkel stellen zu müssen, um Schlimmeres zu verhindern, müssten jetzt die zusammenkommen, die sich gegen die Nationalisierung der sozialen Frage, antiaufklärerische Borniertheit und Spaltungen entlang ethnischer oder religiöser Konstruktionen und also gegen den Weg in den Maßnahmenstaat wenden.
Die Stärke der amtierenden Bundesregierung liegt darin, dass diese Mehrheit kein politisches Momentum auf die Waagschale bringt. Merkels Koalition kann deshalb so tun, als wäre sie ihre eigene Opposition. Eine APO von rechts versorgt dieses Spiel der Bewahrung des politischen und sozialen Status quo mit Treibstoff.
Geht es Merkel bald »an den Kragen«? Der in Wahrheit entscheidende Punkt ist, dass die Regierungsparteien selbst diese rhetorische Zuspitzung betreiben und damit Begriffen wie »Chaos« und »Notstand« öffentliche Wirkung zuteil werden lassen, die zugleich auch Ruf nach einer »Befriedung« von oben sind. So wird auch der Weg in autoritäre Ausnahmepolitik immer kürzer. Es braucht dringend eine Opposition dagegen, eine, die jetzt verteilungs- und demokratiepolitische Fragen so wirksam in den Mittelpunkt rückt, dass sich über sie sagen lassen könnte: »Der Druck wächst.«
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