Weiß wie die Lilien
Sind die diesjährigen Oscar-Nominierungen rassistisch?
Darf die Hautfarbe bei der Wahl der besten Schauspieler, Regisseure oder Drehbuchautoren eine Rolle spielen? Sollten Preisverleihungen als politische Statements und für Ehrerbietungen an Benachteiligte genutzt werden, oder sollte die Auswahl der Geehrten nach rein künstlerischen Kriterien erfolgen? Kann man die künstlerische Leistung von den zahlreichen Benachteiligungen trennen, die Schwarze in den USA zu erdulden haben? Braucht Hollywood eine »Afro-Quote«?
Diese Fragen drängen sich angesichts der aktuellen Nominierungen für den US-Filmpreis Oscar auf. Denn so frustrierend und prinzipiell fragwürdig es ist, dass das zweite Jahr in Folge keine schwarzen Schauspieler nominiert wurden: Es kann nicht die Lösung sein, einen »Minderheitenbonus« einzufordern. Und bei möglichst(!) »objektiver« Betrachtung nach künstlerischen Kriterien kann man an den diesjährigen Nominierungen von Bryan Cranston, Matt Damon, Leonardo DiCaprio, Michael Fassbender und Eddie Redmayne als »beste männliche Darsteller« nicht viel aussetzen. Kann man also den 7000 stimmberechtigten Mitgliedern der Oscar-Academy für diese (künstlerisch durchaus nachvollziehbare) Auswahl Rassismus vorwerfen - »nur« weil diese zu 94 Prozent weiß sind?
Keine Frage: Diese weiße Dominanz in dem Gremium ist anachronistisch und skandalös. Man wünscht der (afroamerikanischen) Präsidentin der Oskar-Academy, Cheryl Boone Isaacs, dass sie ihre jüngste Ankündigung wahr machen kann: »Die Academy wird drastische Schritte unternehmen, die Zusammenstellung unserer Mitgliederschaft zu verändern. Für 2016 geht es um Inklusion in allen Facetten: Geschlecht, Abstammung, Ethnizität und sexuelle Orientierung.«
Doch das Hauptproblem liegt weit vor den Nominierungen durch die Academy, es liegt schon bei der Rollenvergabe. Wenn man als Akademiemitglied die Wahl hat zwischen Leonardo DiCaprios Auftritt in einem furios-experimentellen Natur-Western und Will Smiths Performance in einem familientauglichen Sportlerdrama, so ist die Wahl DiCaprios nicht rassistisch. Rassistisch ist die Praxis der Produzenten, Schwarze noch immer als Stereotype in ganz bestimmten Genres (Sport, Action, Crime) zu besetzen, wodurch die Oscar-Chancen meist schon im Keim erstickt werden. Darauf weist auch der schwarze US-Regisseur Spike Lee hin, der wie die afroamerikanischen Schauspieler Will und Jada Pinkett Smith den Oscar-Verleihungen am 28. Februar fernbleiben will: »Der wahre Kampf findet nicht bei der Preisverleihung statt, sondern in den Chefetagen der Studios und TV-Sender. In diesen Räumen sitzen die Torwächter. Und solange Minderheiten nicht auch in diesen Räumen sitzen, werden die Oscars weiß wie Lilien bleiben«, erklärte Lee auf »Instagram«. Lees aktueller Film »Chi-Raq« ist (wie seine Darsteller) ebenfalls nicht nominiert, läuft aber im Februar auf der Berlinale.
David Oyelowo, der 2015 für seine Darstellung von Martin Luther King Jr. in »Selma« nicht nominiert wurde, beklagte sich bei den King Legacy Awards dennoch zu Recht: »Die Academy spiegelt nicht ihre Präsidentin wider, sie spiegelt nicht diesen Saal wider. Ich bin ein Mitglied und sie spiegelt mich nicht wider, und sie spiegelt dieses Land nicht wider.« Er wird in seiner Empörung von vielen (auch weißen) US-Prominenten wie dem Dokumentarfilmer Michael Moore oder dem Darsteller/Regisseur George Clooney unterstützt.
Als erste Afroamerikanerin überhaupt gewann 2002 Halle Berry für das Todesstrafen-Drama »Monster’s Ball« den Oscar als beste Hauptdarstellerin. Denzel Washington wurde damals als bester männlicher Schauspieler gefeiert, Sidney Poitier fürs Lebenswerk mit einem Ehren-Oscar ausgezeichnet. Doch das ist 14 Jahre her.
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