Private Dienstgeheimnisse
Verfassungsgericht beschäftigt sich mit umstrittenen Finanzdeals der BVG
Wer brisante Unterlagen sicher verwahren möchte, kann sich an die Senatsverwaltung für Finanzen wenden. Treuhänderisch bewahrt die Behörde »höchstpersönliche Dokumente« von Privatpersonen in einem gesonderten »Verwahrgelass« auf. Wobei - diese besondere Dienstleistung könnte nur einer kleinen Personengruppe zuteil werden: ehemaligen Finanzsenatoren. Zumindest lagert sie nach eigenen Angaben auf diese Art Dokumente von Ulrich Nußbaum, Finanzsenator außer Dienst.
Dass die Verwaltung gerade diese Dokumente aufbewahrt, verwundert weniger als die Klassifizierung als höchstpersönliche Unterlagen: Es geht um den Vergleich, den die BVG mit der internationalen Bank JPMorgan im März 2014 getroffen hat, nachdem sie sich vor einem Londoner Gericht gegenseitig verklagt hatten. Ursprung des Streits waren der Verkauf und das Zurückleasen von 426 U-Bahn- und 511 Straßenbahnwagen an US-amerikanische Investoren in den Jahren 1997 bis 2002 - so genannte Cross-Border-Leasing-Geschäfte. Das landeseigene Unternehmen BVG wollte einen Gewinn von 5,7 Millionen Euro erzielen. Am Ende sollte sie 204 Millionen zahlen. Worauf sich die Streitparteien letztlich geeinigt haben, ist geheim.
Der Vorgang verwundert auch Klaus Lederer, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Er hat sich in dieser Woche an das Landesverfassungsgericht gewandt, weil er sich in seinem Recht eingeschränkt sieht, Verwaltungsunterlagen einzusehen. Die BVG hat ihm die Einsicht verweigert, weil sie ihr Betriebs- und Geschäftsgeheimnis gefährdet sieht. Der Senat für Finanzen argumentierte damit, private Unterlagen nicht herausgeben zu dürfen, allein Nußbaum sei »verfügungsbefugt«. Der war bis Redaktionsschluss nicht zu sprechen.
»Das sind keine Privatunterlagen«, sagt Lederer. Die Verwaltung argumentiert, Nußbaum habe sie in seiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender der BVG erhalten. Diese Funktion hatte er allerdings nur inne, weil er Finanzsenator war. Die Unterlagen, so Lederer, seien also an das Amt gebunden, nicht an die Person.
Fast 20 Jahre ist es bereits her, dass sich deutsche Kommunen, darunter die BVG, auf die riskanten Finanzdeals eingelassen hatten. Die meist 1000-seitigen Verträge der sogenannten Cross-Border-Leasing-Geschäfte wurden nie öffentlich gemacht. Die US-Investoren konnten mit den Geschäften in den USA Steuern sparen. Einen Teil der Ersparnis gaben sie an die deutschen Kommunen weiter.
Die Kommunen erhofften sich schnelles Geld. Doch trugen sie das Risiko für die Verträge, die eine Laufzeit von bis zu 100 Jahren hatten. Die Deals erwiesen sich als perfide Finanzwetten, die die Kommunen gar nicht gewinnen konnten.
Die BVG suchte nach einem Ausweg. Auf Anraten der Investmentbank JPMorgan wollte sie zur Absicherung ihrer Cross-Border-Leasing-Geschäfte Wertpapiere auf 150 andere Unternehmen verteilen. Im Finanzsprech hieß das, worauf sich die Verhandlungsführer der BVG einließen, Synthetic Collateralized Debt Obligation (CDO). Sie dachten, schief gehen könnte das Geschäft nur, wenn alle 150 Unternehmen pleite gehen. Doch falsch: Es reichte, dass nur wenige Unternehmen pleite gingen - und das passierte auch. JPMorgan wollte Geld sehen, die BVG klage ihrerseits, weil sie sich von der Kanzlei Clifford Chance schlecht beraten fühlte, die den Deal für sie einschätzen sollte, während sie aber für JPMorgan arbeitete. »Bei der BVG hatte niemand Ahnung, was sie da unterschrieben«, sagt Lederer.
Schließlich einigten sich BVG und JPMorgan einvernehmlich und außergerichtlich. Das Ergebnis blieb geheim. Ob und wie viel Geld die BVG verloren hat, ist daher offen. Eine Risikorücklage von 157 Millionen Euro konnte das Unternehmen nach eigenen Angaben auflösen. Doch überzeugt ist Lederer nicht: »Für Außenstehende ist das schwer nachzuvollziehen. Wir wissen ja nicht, worauf sich die Parteien geeinigt haben - vielleicht auf ein Abstottern der Zahlungen über zehn Jahre.«
»Mich interessiert, was für ein Schaden letztlich entstanden ist«, sagt Lederer, der die Bitte um Akteneinsicht erstmals kurz nach Verkündung der Einigung formulierte. Erfolglos. Ihm geht es daher um eine grundsätzliche Frage: »Kann die demokratische Kontrolle öffentlicher Unternehmen eingeschränkt werden?« Beim Streit um die Wasserverträge hatte das Verfassungsgericht diese Frage schon einmal beantwortet: Der Senat musste den Abgeordneten Einsicht gewähren. Das gleiche erwartet Lederer jetzt auch: »Ich gehe fest davon aus, dass ich Recht erhalte.« Das kann allerdings mehrere Monate dauern.
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