Bedrohtes Kulturgut
Was, bitte schön, ist ein Kulturgut? Die Antwort ist schwieriger, als man gemeinhin denkt. Der Duden bezeichnet ein Kulturgut als »etwas, was als kultureller Wert Bestand hat und bewahrt wird«. Gemeinhin werden also Gemälde, Denkmäler, Gebäude, Bücher als Kulturgüter bezeichnet.
Zu Beginn dieser Woche bezeichnete in dieser Zeitung ein Wirtschaftswissenschaftler allerdings auch Bargeld als Kulturgut. Die Debatte um Einschränkungen bei Barzahlungen sei »ein Schritt hin zur Abschaffung eines jahrhundertealten Kulturgutes«.
Das klingt erst einmal einleuchtend. Bargeld ist von Bestand und wird meist in Geldbörsen aufbewahrt. Gerade in Verbindung mit dem Adjektiv »jahrhundertealt« entfaltet diese Argumentation jedoch eine ganz und gar romantisch-schwärmerische Kraft. Etwas, was zum einen Kultur ist, zum anderen ein Gut, also von Wert, und zum dritten auch noch seit so langer Zeit existiert, von dem können sich viele Menschen nur schwer trennen. Da geht es dem Bargeld wie so vielen anderen Kulturgütern vor ihm. Die Erfindung des Buchdrucks war ein Schritt hin zur Abschaffung des in den Klöstern jahrhundertealten Kulturgutes des Bücherabschreibens von Hand; und schließlich war schon die Erfindung des Feuers ein Schritt hin zur Abschaffung des jahrtausendealten Kulturgutes der Dunkelheit.
Apropos Dunkelheit: Auch die Glühbirne Thomas Alva Edisons zählt ja mittlerweile zum vernichtenden Kulturgut, und war doch zum Zeitpunkt ihrer Erfindung selbst ein Schritt hin zur Abschaffung des jahrhundertealten Kulturgutes des Kerzenlichts. So, wie die Glühbirne mit ihrem Licht die Schreibkammern der Poeten jahrhundertelang erwärmte (gut, es waren kaum mehr als 100 Jahre, davor musste es das Funzellicht einer Kerze tun), so wärmt das Kulturgut Bargeld heute unsere Portemonnaies.
Bargeld ist Materie. Laut Duden muss ein Kulturgut aber nicht an Materie gebunden sein, lediglich seine Beständigkeit ist erforderlich. Das eröffnet der Politik ungeahnte Möglichkeiten. Die Kulturpolitik könnte etwa künftig von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble übernommen werden. Jedenfalls solange es noch Bargeld gibt. jam Foto: dpa/Jens Buettner
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