»Ein Abend, der alles zerstört«
Clausnitz schwankt zwischen Willkommenskultur und Ausländerhass
Die Junge Gemeinde hatte Begrüßungshefte vorbereitet. Die Flüchtlinge, die nach Clausnitz kommen, sollten dort zum Beispiel erfahren, wo sie in dem Dorf auf dem Erzgebirgskamm Läden finden. Als ihre Ankunft für Donnerstag Abend angekündigt wurde, habe man im Supermarkt noch Obst besorgt. »Wir wollten«, sagt Michael Funke, der parteilose Bürgermeister, »die Menschen würdig empfangen.«
Das Vorhaben wurde gründlich durchkreuzt. Das erste, was die Menschen aus Syrien, Afghanistan und Irak von Clausnitz sahen, waren Autos, die die Zufahrtsstraße blockierten, und eine wütende Menge von 100 Einheimischen, die »Wir sind das Volk« grölte und puren Hass ausstrahlte. Videos der Szene sowie eines anschließenden Einsatzes der Polizei, die rabiat mit einem jungen Flüchtling umsprang, sorgen bundesweit für Entsetzen. Zusammen mit dem Brand des als Flüchtlingsheim vorgesehenen Hotels »Husarenhof« in Bautzen vom Samstag verfestigen sie das Bild von Sachsen als Hort von Ausländerhass und Fremdenfeindlichkeit.
Vier Tage später sitzt Michael Funke im Rathaus der Gemeinde Rechenberg-Bienenmühle, zu der Clausnitz gehört, und sagt: »Ich schäme mich für das, was da vorgegangen ist.« Der Rathauschef des Tourismusortes, der jetzt mit Absagen von Gästen zu kämpfen hat, spricht von einem »Abend, der alles zerstört«. Zugleich scheint er noch immer nicht ganz verstehen zu können, wie es zu der Eskalation kommen konnte. Im Januar wurde auf einer Bürgerversammlung über die Unterbringung der Flüchtlinge informiert. Zwar blieben das zuständige Landratsamt und die Polizei, die Fragen hätten beantworten sollen, fern. Tumulte wie andernorts aber gab es nicht. Später gründete sich ein Willkommensbündnis. Zugleich freilich tauchten an den Ortseingängen immer wieder Plakate mit der Aufschrift »Widerstand!« auf, wurden entfernt - und wieder aufgehängt.
Am Donnerstag wurde der Parole dann eindrücklich Folge geleistet. Funke glaubt, dass ein Teil der Fremdenfeinde nicht aus Clausnitz kommt: Es habe unter den »Krawallmachern eine ganze Reihe fremde Gesichter« gegeben, sagt er und spricht von »Demotouristen«. Wie diese von der Anreise der Flüchtlinge erfuhren, kann der Bürgermeister nur vermuten. Der Verdacht liegt freilich nahe, dass die Information aus erster Hand erfolgte. Der Leiter des Asylbewerberheims, ein Mitglied der AfD, hat bei Demonstrationen Reden gegen das »Asylchaos« gehalten; sein Bruder hat gegenüber dem MDR-Magazin »Exakt« eingeräumt, den Protest organisiert zu haben. Am Montag wurde bekannt, dass der Heimleiter durch den Landkreis abgelöst wurde.
Petra Köpping, die sächsische Integrationsministerin, begrüßt den Schritt. Sich politisch gegen die Asylpolitik zu engagieren und zugleich sein Geld in dem Metier zu verdienen, sei »moralisch schwierig«, sagt die SPD-Frau. Sie ist nach Clausnitz gefahren, um denjenigen Mut zuzusprechen, die Flüchtlinge Willkommen heißen wollen - und dafür angefeindet werden: Zwei Helfer seien »direkt bedroht« worden, sagt Pfarrer Christoph Noth. Köpping spricht von Hilfsprogrammen für Kommunen; von Zuwanderung als Chance gegen den demografischen Wandel; sie appelliert an die Kritiker der Asylpolitik, in Berlin zu demonstrieren, statt »Wut und Hass gegen Asylbewerber zu richten«. Wie freilich die anhaltende Eskalation in Sachsen beendet werden kann - bei der Frage wirkt auch die SPD-Politikerin ratlos.
Für Clausnitz zumindest hegt der Bürgermeister dennoch Zuversicht: Am Sonntag hätten junge Flüchtlinge und Altersgefährten aus dem Ort bereits zusammen Fußball gespielt. Wie das Spiel ausging, weiß Funke nicht. Es habe aber, merkt er an, »keine Verletzten« gegeben. In Sachsen, scheint es, muss so etwas inzwischen ausdrücklich angemerkt werden.
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