Sekt ist auch fast wie Champagner

Die Schaubühne inszeniert Khemiris »≈[ungefähr gleich]«

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 3 Min.
Am (ökonomischen) Rand der Gesellschaft träumt man vom Aufstieg. Da der aber kaum mehr über Bildung gelingt, gibt man sich mit der Kopie von Reichtum zufrieden und grenzt sich nach unten ab.

Minimale Chance auf maximalen Gewinn: Das Versprechen unerreichbaren Reichtums: Die Baugenehmigung für Luftschlösser: Die katapultartige Transformation der materiellen Situation: Lotto! Die Max-Planck-Gesellschaft erläuterte 2007 die sozialintegrative Funktion des Spiels: »Das Eintauchen in Traumwelten ist einerseits eine soziale Praxis, mit der sich die Spieler an mit dem Lotteriegewinn assoziierte materielle Werte anbinden. Andererseits verkörpert das Lotterielos das Versprechen, dass großer Wohlstand letztlich für alle erreichbar ist.«

Um den großen Wohlstand geht es auch in Jonas Hassen Khemiris Stück »≈ [ungefähr gleich]«, das die Schaubühne auf die Bühne gebracht hat und das 2014 in Schweden uraufgeführt wurde. Es geht um den großen Wohlstand, wenn es sein muss auch nur als Kopie, solange man das Gefühl hat, der Aufstieg sei möglich - oder man zumindest noch auf jemanden herabschauen kann. Dazu muss man arbeiten, sich selbst verwirklichen im Hamsterrad des Geldverdienen. Die Schauspieler tragen Uniform: Anzüge, bedruckt mit 100 Dollarnoten - und Hamsterköpfe auf ihren Schultern. Fleißig sind sie, jede freie Sekunde nutzen sie, um Gold zu schöpfen - das Versprechen einzulösen, gleicher zu sein als die anderen.

Fünf Figuren bewegen sich am (ökonomischen) Rand der Gesellschaft, sie alle träumen von einem anderen Leben, von Erfolg oder zumindest beruflicher Sicherheit. Die Figuren scheitern - öffentlich und im Privaten. Aber, was ist schon privat, in einer Gesellschaft, die die individuelle Verwirklichung als Maßstab zur Beurteilung eines Lebens festlegt? Der niederländische Schokoladenfabrikant Casparus von Houten hat im 19. Jahrhundert eine Formel zur Bemessung vom Unterhaltungswert eines jeden Ereignisses aufgestellt. Wie steht es um den Unterhaltungswert des eigenen Lebens?

Andrej (Bernardo Arias Porras) sucht nach dem Abschluss eines Abendkurses in »Grundlagen von Wirtschaft und Marketing« nach einer halbwegs interessanten Arbeit. Mit einem osteuropäisch klingenden Namen findet er aber nur das kleine Glück: eine Aushilfsstelle im Tabakladen, in dem er Rubbellose und Tageszeitungen verkaufen muss.

Martina (im Doppel-Ich von Iris Becher und Alina Stiegler gespielt) reicht die Anstellung im Tabakladen nicht mehr aus. Während sie einerseits vom Selbstversorgerdasein auf dem Bio-Hof träumt, sehnt sie sich andererseits nach Luxus, den sie sich durch den Griff in die Kasse des Tabakladens gönnt. Ihr Mann Mani (Renato Schuch) ist Wirtschaftshistoriker, der dass System von innen Umkrempeln will, ohne aber je die Festanstellung zu bekommen, die dafür notwendig wäre. »Geht raus und verachtet die Welt« rät er im Selbstmitleid seinen Studenten.

Martina verachtet ihn insgeheim dafür, ihr nicht den Luxus zu bieten, von dem sie meint, sie hätte ihn verdient. Gleichzeitig idealisiert sie den Obdachlosen Peter, der in ihren Augen das auslebt, was Mani in der Theorie beschreibt. Peter wiederum bettelt um Geld, die er für eine Fahrt zu seiner bei einem Unfall verletzten Schwester braucht. Andrej verprügelt ihn, um die 50 Euro zurückzubekommen, die sein kleiner Bruder zuvor Peter geschenkt hat.

Mina Salehpour inszeniert Khemiris Stück mit viel Humor. Dass der Königsweg Bildung nicht mehr zum Aufstieg reicht, ist eine der Tragödien dieser Zeit. Was bleibt einem anderes übrig, als sich anzupassen? »Sekt ist ja fast das gleiche wie Champagner«, und in den vielen Momenten der Verzweiflung findet man Halt in der Einbildung: »Ich grüße nur Leute, die etwas zur Gesellschaft beitragen«, sagt Martina trotzig und setzt sich nach unten ab. Was braucht es mehr als das kleine Glück der Festanstellung und die kleine Chance auf den Millionengewinn? »Ich kaufte ein Rubbellos und ich spürte, ich würde gewinnen«, und als es doch nur eine Niete war, tröstet sich Andrej mit Sekt: ist ja auch fast wie Champagner.

8., 10., 11.3.; Schaubühne am Lehniner Platz, Kurfürstendamm 153, Charlottenburg

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