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Nationales Biedermeier

Der vorläufige Leitantrag der AfD für den Berliner Parteitag am Sonntag strotzt von reaktionären Forderungen

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.
Bei neun Prozent wird die Berliner AfD derzeit in Umfragen gemessen – bei einem nicht-öffentlichen Parteitag soll das Programm am Sonntag beschlossen werden. Das »nd« hat den vorläufigen Leitantrag analysiert.

Wo der fünfte Landesparteitag der Alternative für Deutschland (AfD) stattfinden soll, steht noch nicht fest. Ein Veranstaltungsort in Mitte hat den Rechtspopulisten bereits abgesagt, derzeit lädt die Partei nach Hohenschönhausen. »Es findet am Sonntag der Parteitag der AfD statt – weitere Informationen folgen in Kürze«, sagt der Pressesprecher der Berliner AfD, Ronald Gläser. In ihrer Einladung für die »nicht-öffentliche« Veranstaltung fordert die Partei ihre Mitglieder auf, »auf jeden Fall« den Personalausweis zum Nachweis der Identität mitzubringen.

Zentraler Punkt der Versammlung ist die Verabschiedung des Leitantrags des Landesvorstands zur Abgeordnetenhauswahl. Aus den 30 Seiten, die »neues deutschland« vorab vorliegen, soll später ein kürzeres Wahlprogramm entwickelt werden, mit dem die AfD an den Wahlständen werben will. Inhaltlich beginnt der Leitantrag überraschenderweise mit den Schwerpunkten »Familie« und »Schule«. Gleich am Anfang wird gegen »Gender-Mainstreaming« und Sexualunterricht polemisiert, der von sexuellen Minderheiten durchgeführt wird. Darüber hinaus wird erklärt, dass die AfD die »Gleichstellung der eingetragen Lebenspartnerschaften« für Homosexuelle ablehnt.

Zu den reaktionären Positionen der Partei gehört auch, dass Schwangerschaftsberatungen »auf Schutz des ungeborenen Lebens abzielen« sollen. Die prominente Platzierung antifeministischer Positionen in dem Wahlprogramm dürfte nicht zuletzt auf die neue Landesvorsitzende und Europa-Abgeordnete der AfD, Beatrix von Storch, zurückgehen, die sich seit vielen Jahren im Umfeld der sogenannten Lebensschützer bewegt.

Wie rückwärtsgewandt und wie groß die Sehnsucht nach »klassischen« Lösungen in der AfD ist, spiegelt sich auch an vielen anderen Stellen des Leitantrags wider, der quasi eine Blaupause für ein nationales Biedermeier entwirft. Dazu passt, dass in den Vorstellungen für die historische Stadtmitte das »Stadtschloss« als bedeutender Anfang für die Rückgewinnung dieses Areals hervorgehoben wird. Ergänzt wird die rechtspopulistische Weltsicht natürlich durch »Law-and-Order«-Forderungen: mehr Polizisten, mehr Videoüberwachung und die Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre. Kern des Programms ist die Forderung nach einer grundsätzlichen »Kurskorrektur« in der Flüchtlings- und Asylpolitik.

»Dass die AfD alibimäßig das Grundrecht auf Asyl vertritt, ist nur vorgeschoben«, sagt Frank Metzger vom »antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum« (apabiz). Schließlich würden, so der Rechtsextremismusexperte, zugleich ein Aufnahmestopp und eine rigorose Abschottungspolitik gefordert werden. »Die AfD versucht sich ein gesamtgesellschaftliches Profil zu geben«, sagt Metzger. Harte Formulierungen in der Asylpolitik stünden vergleichsweise softe Formulierungen für andere Bereiche gegenüber. Heraus kommt eine Gratwanderung: »Einerseits bedient die AfD NPD-Sprechweise, anderseits probiert sie, CDU-Wähler für sich zu gewinnen«, sagt Metzger. Dieser Spagat zeigt sich auch in der Breite der Forderungen: Neben Tierschutz geht es um Kleingartenanlagen oder die Abschaffung benzinbetriebener Laubbläser. Hinzu kommen antisoziale Forderungen wie die Abschaffung des Mindestlohns.

»Es muss unter den Demokraten geklärt werden, was im Kern an den Inhalten der AfD problematisch ist und warum die eigenen, demokratischen Positionen dem widersprechen«, sagt Ulrich Overdieck von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin (MBR). Konfrontiert werden könne die AfD mit ihrem zweifelhaften Verhältnis zu Grundgesetz und Menschenrechten in den Bereichen Flucht und Migration. Dazu brauche es ein mutiges Bekenntnis. »Die demokratischen Akteure müssen sich hier klar auf die Seite der Engagierten und der Geflüchteten stellen«, sagt Overdieck.

In den kommenden Wochen und Monaten wird sich zeigen, ob es gelingt, die AfD inhaltlich zu stellen. Das Programm der Rechtspopulisten dürfte nach diesem Wochenende endgültig vorliegen.

Das Bündnis »Stopp AfD« ruft für den Sonntagmorgen zu einer Protestkundgebung vor dem Parteitag in Hohenschönhausen auf. »Die rechten Gewalttaten in Berlin haben im letzten Jahr stark zugenommen, befeuert auch durch die rassistische Propaganda der rechten Parteien NPD und AfD. Wir werden uns der Gefahr entgegenstellen«, kündigte Bündnissprecher Andreas Udel an.

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