Am 15. November 2006, 12.00 Uhr war es soweit: Al Dschasira, der Nachrichtensender aus Katar, ging 10 Jahre nach seiner Gründung mit einem englischen Programm weltweit auf Sendung. Von Afghanistan bis Uganda wird der Sender die Nachrichten an schätzungsweise 80 Millionen Haushalte liefern, frisch, wie ein Fisch im Wasser, so die Eigenwerbung. »Die Nachrichten so berichten, wie die Menschen auf der Straße sie sehen«, so lautete der für einen arabischen Alleinherrscher eher ungewöhnliche Auftrag, mit dem Al Dschasira am 1. November 1996 sein Programm startete. Der Emir von Katar, Scheich Hamad bin Khalifa al Thani, wollte einen Fernsehsender, wie ihn die arabische Welt noch nicht gesehen hatte. Eine fortschrittliche arabische Stimme sollte dem internationalen Nachrichtenstrom hinzugefügt werden, eine Stimme, die man respektieren und nicht überhören sollte. Mitarbeiter des kurz zuvor geschlossenen Arabischen Programms der britischen BBC setzten den Auftrag professionell um und sorgten für Aufregung. »Den Störenfried aus der kleinen Streichholzschachtel« nannte der ägyptische Präsident Hosni Mubarak den Sender einst, heute arbeiten 200 Journalisten und Techniker in mehr als 30 Büros weltweit, sagt Satnam Matharu, der in der Zentrale des Senders in Doha (Katar) für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Stolz präsentiert er die neuen Sendestudios, aktuellste Computer- und Lichttechnik inbegriffen. »Al Dschasira gehört weltweit zu den bekanntesten Markenzeichen«, so Matharu unter Verweis auf eine Umfrage des Forschungsinstituts Interbrand aus dem Jahre 2005. »Vor uns waren IKEA, (die Kaffeekette) Starbucks, apple und Google. Wir waren an fünfter Stelle, darauf sind wir natürlich sehr stolz. Für uns ist das eine Bestätigung unserer Unabhängigkeit, als Professionelle ursprünglichen Journalismus zu präsentieren.« Der Preis für den steilen Aufstieg war hoch. Nicht nur die autoritären Herrscherhäuser der arabischen Welt reagierten entnervt, auch der Westen beäugte den Sender mit Misstrauen. In der saudischen Hauptstadt Riad wurde Al Dschasira ebenso verboten wie in Bagdad, selbst die palästinensische Autonomiebehörde, damals noch unter Arafat, untersagte dem Sender phasenweise die Berichterstattung. Als ihr Starreporter Taysir Alouni, 2001 live aus dem Afghanistankrieg berichtete, gingen die Bilder des Senders um die Welt. Al Dschasira war unter den Menschen, mitten im Krieg. Niemand beim Sender glaubte an ein Versehen, als die US-Luftwaffe das kleine Büro in Kabul in Schutt und Asche bombte. Alounis Aufsehen erregendes Interview mit Osama Bin Laden kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 kostete ihn die Freiheit. Als angeblicher Helfer einer islamistischen Terrorzelle in Spanien, wo der Journalist mit Frau und Kindern lebt, wurde er 2004 zu 7 Jahren Haft verurteilt, kürzlich aber wegen gesundheitlicher Probleme freigelassen. Während des Krieges 2003 wurde das Al Dschasira-Büro in Bagdad von US-Bomben getroffen. Ein Journalist und ein Techniker, die gerade in einer Live-Schaltung auf dem Dach des Gebäudes waren, kamen ums Leben. Die ständigen Angriffe sind für Satnam Matharu ein Beleg, »dass wir uns nicht einer bestimmten politischen Linie beugen, nicht anbiedern, sondern unser Bestes geben, um die Themen in ihrer Tiefe und Weite darzustellen.« Dazu gehören nicht nur eine, sondern zwei, manchmal auch sechs Meinungen, erklärt Matharu. Nur so könnten die Zuschauer verstehen, wie komplex und facettenreich ein Thema sein kann. Mit der Ausstrahlung von Botschaften Osama Bin Ladens handelte der Sender sich den Vorwurf ein, Plattform für den islamistischen Terror zu sein. Die Stellungnahmen Bin Ladens beeinflussen die Außenpolitik vieler Länder, so Matharu, das habe für CNN, BBC und Al Dschasira gleichermaßen Nachrichtenwert. Im Übrigen habe der Sender »in den vergangenen Jahren insgesamt nur etwa 5 Stunden Bin Laden gesendet (), aber an die 5000 Stunden George W. Bush.« Zum Start des englischen Programms, hat das Londoner Studio wieder ein Top Interview angekündigt, mit dem britischen Premierminister Tony Blair.
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