Im »Klub«
Zu Besuch im ersten besetzten Haus der Slowakei, wo man auf Besetzer in engen Jeans trifft und radikalfeministische Strickkurse besucht
Wie der klassische Hausbesetzer sieht Jan nicht gerade aus. Er trägt spitz zulaufende schwarze Schuhe, ein modisches Hemd zur engen Hose, den Schnurrbart ordentlich gezwirbelt über den Lippen und ein wenig Stolz in der Stimme, als er erzählt, dass der »Klub« das erste besetzte Haus der Slowakei sei. Wenn man es genau nehme, fügt er hinzu, stimme das mit der Besetzung zwar nicht ganz, als »Squat« - besetzt - kann man das Haus aber dennoch bezeichnen.
Zwar ist Jan, als er vor neun Monaten gemeinsam mit Freunden das Haus bezogen hat, nicht über Zäune geklettert, hat weder Türen aufgebrochen, noch sind sie bei Nacht und Nebel eingedrungen. Ganz im Gegenteil, mit einem Schlüssel ist er einfach durch die Vordertür spaziert und hat begonnen, tote Ratten aus dem Keller zu räumen. Als besetzt gilt das Haus, denn das haben sie, mit ihrer Idee eines kommunalen Zentrums, das in dieser Form in der Slowakei bisher einzigartig ist.
Košice ist eine mittelalterliche Stadt im Osten der Slowakei. Junge Künstler, Musiker leben hier, es gibt ein breites Kulturangebot, nicht erst seit Košice 2013 zu Europas Kulturhauptstadt gekürt wurde. Nur einen unabhängigen Ort, an dem sich die jungen Kreativen treffen können, diejenigen, die die Gesellschaft, in der sie leben, hinterfragen, gab es bisher nicht. Es gibt Bars, Clubs, eine Weile war ein aufstrebendes Kulturzentrum Treffpunkt der Alternativszene. Seit der Betreiber europäische Fördergelder bezieht, es ausgebaut und ein teures Restaurant integriert hat, ist es jedoch auch hier vorbei mit der Alternativkultur.
Der neue Freiraum erstreckt sich über drei Stockwerke und liegt an einer belebten Hauptstraße. Nach vorne: vierspuriges Hupkonzert, hinten: ein kleiner Garten, im Sommer sprossen hier bereits die ersten Kräuter und verkündeten erste grüne Erfolge. Im Erdgeschoss gibt es einen »Umsonst«-Raum, hier bringt vorbei wer zu viel und wer zu wenig hat, holt sich etwas ab. Es gibt eine Fahrradwerkstatt, jeden Samstag vegane Volksküche, alle paar Wochen Obdachlosenspeisungen. Der »Klub« soll so etwas wie »Ein Ort für alle« werden, ein Freiraum für die, die den großen Ellenbogenkampf der Gesellschaft nicht mehr mitmachen wollen. Die Slowakei ist noch nicht lange angekommen im Kapitalismus. Nach dem Ende des kommunistischen Regimes hat aber auch hier das große Rennen begonnen.
Im Erdgeschoss bildet eine Bar aus einfachen Holzlatten und drei alten Sofas den Versammlungsbereich. Ein paar Stufen das zugige Treppenhaus nach oben liegt Helenas alte Wohnung. An den Wänden hängen Schwarz-weiß-Fotografien, Überbleibsel von einer der letzten Ausstellungen. 55 Jahre hat Helena hier gewohnt, Kinder großgezogen, mit ihren Enkeln gespielt, in der kleinen Küche in großen Schüsseln Kapustnica, Sauerkrautsuppe, gekocht. Jetzt liegt eine Staubschicht auf dem alten Stäbchenparkett, die Fenster haben Risse, schon lange sind Stimmengewirr und Kinderlachen verstummt. Mit Schwermut in der Stimme erinnert sich der Kellner in einem Stadtcafé in Košice, wie er auf dem alten Holzboden Spielzeug-Autos hin und her geschoben hat. 15 Jahre ist seine Oma Helena schon tot, so lange steht auch das Haus, in das nun der »Klub« eingezogen ist, bereits leer. Dass in den alten Räumen nun junges Leben in Form von Künstlern und Projekten stattfindet, findet der Kellner gut. Selbst im »Klub« vorbeischauen möchte er aber nicht, zu sehr schmerzt die Erinnerung an Helena und die alten Zeiten.
»Unsere Gesellschaft mit westlicher Kultur zu vergleichen, ist schwierig«, sagt Jan und erklärt, dass der späte Fall des Eisernen Vorhangs und die in den Köpfen weiter existierende Ideologie dazu führten, dass es bisher in der Slowakei kaum Bewegungen von Gegenkultur gegeben habe. »Wir sind nicht traumatisiert vom Kommunismus, aber es braucht einfach Zeit, bis sich die Dinge ändern«. Heute, sagt Jan, sei die Slowakei eine durch und durch kapitalistische Gesellschaft. Der Kapitalismus sei jedoch nicht zwingend schlecht, »wir Menschen wissen eben nur noch nicht, wie wir uns im Kapitalismus verhalten sollen«.
Immer wieder fragte sich Jan, der Fotografie und Mathematik studiert hat, ob es möglich sei, alternatives Leben, Arbeiten, Erschaffen, in einer Gemeinschaft zu realisieren, ohne im Chaos zu enden.
In Berlin und Prag lernte Jan Hausprojekte kennen, in den Niederlanden lebte der 28-Jährige für einige Zeit in einem besetzten Haus. Dort erfuhr er, dass alternatives Leben weder mit einem bestimmten Kleidungsstil noch mit Drogenexzessen und Unordnung einher gehen muss, sondern ein Zuhause für Menschen mit der Vision, etwas zu verändern, sein kann.
Damit seine Vision Wirklichkeit wurde, nahm er eines Tages sein Schicksal in die Hand. Zufällig hatte er die Nummer des Eigentümers des leer stehenden Hauses bekommen. Er kontaktierte den Mann und konnte ihn kurze Zeit später von seiner Idee überzeugen. Die Abmachung stand: Jan und Unterstützer des Projektes würden das Haus kostenfrei für Ausstellungen, kreative Ideen, soziale Projekte nutzen dürfen und im Gegenzug kleinere Reparaturen übernehmen und sich darum kümmern, dass es nicht weiter verfällt. Bis sie wirklich einziehen konnten, dauerte es noch lange drei Monate. Der Hausbesitzer konnte die Schlüssel nicht mehr finden. Zu lange schon hatte niemand mehr das Gebäude betreten. Im April 2015 war es dann soweit. 30 junge Menschen hatten sich versammelt, bereit, das verfallene Haus zu entrümpeln und mit neuen Ideen zu füllen.
Sie nahmen ihre Aufgabe ernst, begannen Fenster und Türen zu streichen, von außen sollte als erstes sichtbar werden, dass nun wieder Leben hier eingezogen war. Kurze Zeit später stand das slowakische Kulturamt vor der Tür. Das Haus steht unter Denkmalschutz, 1929 in funktionalistischer Bauweise errichtet, müssen Veränderungen jeder Art genehmigt werden. So blieben einige Fenster ungestrichen als die neuen Hausbesetzer, als die sie sich trotz offiziellem Schlüssel sahen, die Nachbarn zum Willkommensfest einluden.
»Wenn man etwas verändern will, muss man mit den bestehenden Strukturen anfangen, lokal, und mit denen sprechen die bereits hier sind«, erzählt Jan. »Wir sind nur Gäste, manche Nachbarn leben hier bereits ihr ganzes Leben, deshalb war es uns sehr wichtig, uns höflich vorzustellen.« An manche Türen mussten sie fünfmal klopfen, bis die Nachbarn zustimmten, zum Fest zu kommen. Am Ende standen sich Generationen am Grill gegenüber. 90-jährige Omas neben jungen Künstlern und Punks, die erste Veranstaltung war ein Erfolg. Für die breitere Öffentlichkeit eröffnete der »Klub« mit einer Ausstellung von 33 Künstlern aus der Slowakei. In den letzten Monaten haben sie bereits zwölf Ausstellungen und zahlreiche DIY-Workshops (Do-it-yourself) organisiert. Ein radikal-feministischer Strickworkshop war dabei, alte Kunst mit politischem Anspruch neu zu definieren. Solche Veranstaltungen finden sonst nur selten einen Platz im kommunalen Kulturangebot.
Zuletzt gab es eine Ausstellung von tschechischen Künstlern, die mit provokativen Gemälden, Spraypainting von Skulpturen und schamloser Kunst bekannt wurden. Erst war die Gruppe von einer großen Stadtgalerie in Košice eingeladen worden, nachdem sie Bilder von den Gemälden, die sie ausstellen wollten, schickten, die Kritik an den lokalen Politikern der Stadt und Kulturdezernenten übten, wurde die Ausstellung kurzerhand wieder abgesagt. Offiziell wurde die Absage mit Sicherheitsbedenken begründet. »Das hatte politische Ursachen«, meint Jan. Ein halbes Jahr später lud der »Klub« die Künstler kurzerhand wieder nach Košice. Dem Kulturzentrum verbieten keine politischen Fördergelder und Abhängigkeiten die Meinungsfreiheit. Auch für solche kontroversen Veranstaltungen hatten Jan und seine Freunde den »Klub« erschaffen.
»Wir befinden uns auf einem Langstreckenlauf mit unserem Projekt«, sagt Jan. Er hofft, dass die Idee eines selbstverwalteten Zentrums alternativen Lebens, Feuer fängt und noch mehr junge Leute in der Slowakei damit beginnen, festgefahrene Strukturen zu hinterfragen und sich ihre Welt einfach selbst zu schaffen. Die Unterstützer braucht er, denn es steht bereits fest, dass es für den »Klub« in diesem Haus keine Zukunft geben wird. Im nächsten Jahr schon will der Vermieter mit der Renovierung beginnen. Jan hofft, dass es dann bereits genügend Unterstützer des »Klub« geben und das neue Haus das Projekt von selbst finden wird. Nur falls sie wirklich keinen Eigentümer finden, der ihnen ein Haus zur Verfügung stellt, würden sie über die »extreme« Maßnahme einer Besetzung nachdenken. »Um aus der Welt einen besseren Ort zu machen.« Jan sagt es ohne Pathos, mit der pragmatischen Überzeugung eines untypischen Hausbesetzers.
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