Das elfte Gebot

Birgit Lahanns Buch nennt ihn beim Namen: »Der Störenfried« - Rolf Hochhuth zum 85.

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.
»Ich habe ja ein elftes Gebot geschrieben«, sagt Hochhuth der Reporterin Birgit Lahann, die jetzt ein Buch über den Schriftsteller veröffentlichte. Dies elfte Gebot, ihm heilig wie ein erstes: »Du sollst nicht schweigen!«

Künstlers Kapital ist sein verstiegener Geist. Hoch über den Mäßigen, den Maßhaltern. Die zum Beispiel den Seiltänzer so dauerhaft kritisieren, bis er abstürzt. Dann aber, wenn er in Gips daherkäme, würden sie dem Manne generös sagen, wie man richtig zu laufen habe. Hochhuth war nie Bodenpersonal. Rolf Hochhuth ist der Seiltänzer. Gips ist nicht sein Stoff, er brachte ganz andere Dinge zum Bröckeln.

»Ich habe ja ein elftes Gebot geschrieben«, sagt er der Reporterin Birgit Lahann, die jetzt ein Buch über den Schriftsteller veröffentlichte. Dies elfte Gebot, ihm heilig wie ein erstes: »Du sollst nicht schweigen!« Credo eines Mannes, der Kämpfer blieb - selbst noch im knorrigen, aufgekratzten Ausleben seiner inzwischen folgenlosen Absonderlichkeit. Ein Vergeblichkeitsenthusiast, der erst im Zorne fühlend wird. Der sich Feindschaften scheinbar sorglicher aussucht als Freundschaften. Siegfried Lenz nannte ihn einen ständigen »Störer des schlimmen Einvernehmens«. Vielleicht in Anlehnung daran heißt Lahanns Buch »Der Störenfried«.

Das Stück »Der Stellvertreter« (1963), von Erwin Piscator in Berlin uraufgeführt, wurde zum größten Skandal des deutschsprachigen Theaters. Der Vatikan als Nazi-Kollaborateur - was damit losbrach, machte Hochhuth weltberühmt. Pater Riccardo, der an seiner Kirche verzweifelt, geht mit in den Feuerofen des Konzentrationslagers - welches Stück heute bewirkt so ein Beben?! Dann die Erzählung »Eine Liebe in Deutschland« und das daraus folgende Stück »Juristen« - dies stürzte Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Filbinger, den Ex-Nazirichter. Wo heutzutage ist Kunst noch ein Attentat, wo stürzen durch Theater oder andere Sinn-und-Formgebungen noch hohle, leere Twin Towers der Konsensgesellschaft?

Lahann schrieb keine Biografie im landläufigen Sinne. Sie protokolliert Gespräche mit dem Autor, seinen Umfeldern. Gespräche bei ihm zuhause - im Nebenraum (oft »kaffeebraune«) Studentinnen, die er auf der Straße anspricht, sie tippen ab, korrigieren, kopieren, mailen, ordnen. Lahann setzt Hochhuths Auskünfte nicht zwischen An- und Abführungszeichen, alles ist ein fortlaufender Text - das ist das Wesen ihrer Dramaturgie. Eine Collage aus Erzählung, Erläuterung, Erwiderung. Die Autorin, lange Zeit beim »Stern«, kommt nicht vom Essay, sie kommt von der Story. Sie will Farbe, Flair. Auch treibt sie durch jede Geisteslandschaft flirrende Boulevards. Und siehe da, die Landschaft blüht - das Buch packt auch dort, wo es plaudert. Und jede Plauderei - ob über »schöne Frauenkörper« und erotische Gedichte, über den ungeliebten Nietzsche und das geliebte Fahrradfahren - führt doch immer wieder richtungssicher in den ausstoßgierigen Vulkanismus von Hochhuths politischem Dichten und Trachten.

Er verfasste Schauspiele, die eher Traktate waren. Fakten-Furor. Recherche-Rumor. Ja, auch Papiertrockenheit. Aber gegen allen scholastischen Eifer, ihm ästhetisches Unvermögen nachzuweisen, blieb doch: Hochhuth wollte politisch überzeugen, nicht ästhetisch überwältigen. Wahrheit, die zuschlägt; Enthüllung, die Nerven blanklegt. Schillers »Wilhelm Tell« nannte er mal die »Magna Charta des politischen Dramas«. Weil dieser Dichter unbeirrt zum Widerstand aufrufe. Der ist nötig gegen »jede Diktatur, wie demokratisch die sich auch maskiert.« Hochhuth feurig, entschieden, in einem ganz gelösten Sinne unbelehrbar. Lahanns Erzählkern.

Der Schriftsteller war nie ein Linker, blieb ein Anwalt der charismatischen Großfigur. Etwa Bismarck. Und Churchill (das Drama »Soldaten« behandelt den britischen Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung als Verbrechen, bekennt sich aber zur Faszination, die von jenem überragenden Strategen ausging, der Hitler die Stirn bot). Gegen eine organisierte Bewegung der Entrechteten setzt Hochhuth die individuelle Courage. Beschwört die Hitler-Attentäter Bavaud, Stauffenberg. Hat für Georg Elser in der Mitte Berlins ein Mahnmal durchgesetzt. Überschäumende Geschichtssucht und sein trauriges Fazit des demokratischen Zeitalters: Leider verdumme jeder Frieden das Glück - indem er blind mache für die lauernden Verhältnisse hinter der Ruhe.

Neben Tell auch Antigone, Judith, Dädalus, Luther, Hemingway - sie alle hat der Autor in seinen Stücken zu Lehrmeistern fürs Akute erhoben. Er prangerte Waffengeschäfte im Mittelmeerraum an (»Lysistrate und die Nato«) und Machenschaften der blutplasmapanschenden Pharma-Industrie (»Ärztinnen«). Auch schrieb er glänzende Essays (Kritik etwa an Brecht, dessen kalter Algorithmik des Klassenkampfes der Sinn fürs Tragische fehle). Sein Ärger: Zum großen Bühnen-Erlebnis wurde er just dort, wo erfolgreich gegen ihn gehandelt wurde. Als der geniale Einar Schleef 1993 am Berliner Ensemble (Hochhuth ist Besitzer der Immobilie BE) das Treuhand-Drama »Wessis in Weimar« inszenierte, kam es zum erbitterten Kampf zwischen Regisseur und Autor - am Ende siegte Schleef, er brachte den Report-Realismus der Hochhuth-Vorlage zum Glühen. Eines der spannendsten Kapitel des Buches, denn auch Lahann bietet dem Dramatiker Paroli, und aufblitzt bei ihm diese rührende Mischung aus polternd haltbarem Starrsinn und kichernder Spätmilde.

Hochhuth, Jahrgang 1931, ist Sohn eines Eschweger Schuhfabrikanten, aber er sagt, sein Vater sei Hitler. Eine mutig selbstanklägerische Standortbestimmung - von daher diese Unbändigkeit, Vergangenheit aufzureißen, sie als Dämon in die Gegenwart zu projizieren. Mag jeder Zukunft, wie den Fischen, die Sprache verboten sein - Vergangenheit muss uns anschreien, quälen, prüfen. Der Schriftsteller als letzter Protagonist einer bürgerlichen, gar monarchischen Ethik, deren zivilisierende Techniken in der Barbarei der Klassenkämpfe untergingen. Essayist Gunnar Decker schrieb treffend: »Hochhuth ist ein Machtdenker aus der Schule Machiavellis: ein strenger Ordnungsmensch - mit einem heimlichen Faible für die Anarchie.«

2004 veröffentlichte er sein Schauspiel »McKinsey kommt«: besagte Unternehmensberatung als wütend konstruiertes Gleichnis. Plötzlich galt Hochhuth (wieder einmal) als skurriler Fall, weil er globalisierte Wirtschaftsprozesse in den verbrecherischen Rang von Vaterlandsverrat erhob. Nun, er hatte einfach »nur« den Schurkenkapitalismus beim Namen genannt - »den freilich so zu benennen eine moralische Perspektive voraussetzt, die nirgendwo mehr sichtbar ist«. So der Hochhuth-Herausgeber Gert Ueding. Das Problem ist für Hochhuth nicht der Kapitalismus selbst, sondern die fehlende Wiederauferstehung des moralischen Kapitalisten inmitten des isolierenden Gewinnfetts. Gegen kollektive Enteignungsphantasien setzt dieser Strukturkonservative am liebsten das, was auch Ernst Jünger, in letzter Not, als Tat »wider den Raubtiergeist der Zeit« aufrief: »Waldgang«. Jüngers Erzählung als Grundgesetztext des zivilen Ungehorsams. Waldgänger heißt: (zumindest geistig) unter die individuellen Rächer gehen, wenn der Staat das öffentliche Wohl, für das er zuständig ist, selber untergräbt.

Immer wurde Hochhuth von der Scham getrieben, zu ungebildet zu sein. So kam zum beseelten Literaten der besessen Fleißige. Zum geistigen Ketzer der komische, nervende Kauz der cholerischen Auftritte. Lahanns Buch schüttelt sich manchmal vor Lachen, und der Pfau und Patriarch entdeckt uns seine bübische Selbstironie. Ehe er wieder herrisch wird. Weißes Hemd, das Jackett über beide Schultern gelegt wie einen Militärmantel des höheren Dienstgrades. Gar nicht abwegig, diese Assoziation: Die befehlende Generalität heißt Kunst. Der Traum vom Text: Er möge die Magie von Putsch und Machtergreifung haben. Hochhuth als Konfliktfeldherr und als der Kühne immer auch der Kasper - der sehr genau um jenen Irrwitz der Verwitterung weiß, den er in Lahanns Buch seufzend, knurrend bekräftigt: »Der Mensch wird zu Ende gedemütigt. Beruflich, weil keiner mehr was von ihm will, körperlich, weil er nichts mehr kann.« Am 1. April wurde der rühmenswerte Rappelkopf Rolf Hochhuth 85 Jahre alt.

Birgit Lahann: Rolf Hochhuth. Der Störenfried. Mit Fotos von Karin Rocholl. J.W.H. Dietz. 382 S., geb., 22 €.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -