NSU-Ausschuss: Umstrittener Polizist erhält Rückendeckung
Ausschuss will Enthüllungen gründlich nachgehen / Bericht: Mundlos unter Tarnnamen bei Baufirma beschäftigt - in der Region, wo erste NSU-Morde geschahen / Auch Zschäpe soll dort gearbeitet haben / Chef des Unternehmens war Geheimdienstspitzel
Update 15.10 Uhr: Rückendeckung für umstrittenen Polizeiführer im NSU-Ausschuss
Ein ranghoher Kriminalpolizist hat vor dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss dem umstrittenen Polizeiführer des Einsatzes beim Auffliegen der Terrorzelle NSU den Rücken gestärkt. Der Mann sei an jenem 4. November 2011 in Eisenach überaus kooperativ aufgetreten, sagte der Kriminalbeamte am Donnerstag in Erfurt vor dem Gremium. Er habe sich die Meinungen der anwesenden Fachleute angehört und dann seine Entscheidungen getroffen. Der Einsatzleiter habe »moderiert«. Andere Zeugen des Ausschusses hatten die Arbeit des Polizeiführers in der Vergangenheit scharf kritisiert.
In Eisenach waren an jenem Novembertag in einem ausgebrannten Wohnmobil die Leichen der Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gefunden worden.
Update 13.40 Uhr: NSU-Ausschuss will neuen Enthüllungen zur Terrorzelle nachgehen
Der zweite Untersuchungsausschuss im Bundestag zur rechten Terrorzelle NSU will den neuen Hinweisen in dem Fall gründlich nachgehen. »Wenn es sich als wahr herausstellen sollte, dass (Uwe) Mundlos für einen V-Mann gearbeitet hat - in der Zeit, als die Morde des NSU begannen - dann hätte das eine völlig neue Dimension«, sagte der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger (CDU) am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. »Und im Moment spricht einiges dafür.«
Binninger sagte, schon im ersten NSU-Ausschuss habe es verschiedene Hinweise zur Person Marschner gegeben - darunter auch, dass Zschäpe in einem seiner Läden gesehen worden sei. »Aber das ließ sich damals nicht erhärten.« Für ihn seien seitdem dennoch immer Zweifel geblieben. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es gar keinen V-Mann gab, der zumindest wusste, wo sich das Trio aufhielt.« Diese Zweifel seien mit ein Grund dafür gewesen, einen weiteren Untersuchungsausschuss zu dem Fall einzusetzen. »Wir hatten damals nicht mehr genug Zeit, um diesen Fragen vertieft nachzugehen.« Der neue NSU-Ausschuss werde diesen Dingen nun auf den Grund gehen.
Mutmaßliche NSU-Terroristen arbeiteten bei V-Mann
Berlin. Bei der Aufklärung der Mordserie der neonazistischen Terrorgruppe NSU steht eine Frage im Zentrum: Wie eng waren staatliche Strukturen in das Netzwerk der Rechtsextremen verwickelt. Nun kommt heraus: Noch während der Mordserie war einer der NSU-Täter, Uwe Mundlos, unter einem Decknamen bei einer Zwickauer Baufirma beschäftigt, die einem V-Mann des Verfassungsschutzes gehörte. Mundlos sei unter einer Tarnidentität in den Jahren 2000 bis 2002 als Vorarbeiter eines Bauunternehmens im sächsischen Zwickau eingesetzt gewesen, heißt es in einer ARD-Dokumentation.
Auch mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe soll nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur während ihrer Zeit im Untergrund in Zwickau in einem Geschäft gearbeitet haben, das von einem V-Mann des Verfassungsschutzes betrieben wurde. Es handelt sich um denselben Mann, der nach einem Bericht der »Welt« auch das andere NSU-Mitglied Uwe Mundlos beschäftigt haben soll.
Der Inhaber der Firma, der Neonazi Ralf Marschner, habe damals als Spitzel an den Inlandsgeheimdienst berichtet. Marschners Firma und damit auch Mundlos seien zu einer Zeit auf Baustellen im Raum Nürnberg und München aktiv gewesen, als dort die ersten von insgesamt zehn Morden des NSU verübt wurden, so der Bericht. Durch die Firma des Spitzels waren nach den Angaben mehrere Mietfahrzeuge über längere Zeiträume gebucht worden. Einige davon an den Tagen, an denen die NSU-Mörder in Nürnberg einen türkischen Änderungsschneider und in München den türkischen Inhaber eines Obst- und Gemüsehandels erschossen.
Ob die Fahrzeuge von Mundlos oder Böhnhardt tatsächlich für die Begehung der Morde genutzt wurden, sei bislang ungeklärt. Unklar ist demnach auch, ob Marschner seinen V-Mann-Führer beim Verfassungsschutz über die Beschäftigung von Mundlos informiert hatte. Der Spitzel sei offiziell 2002 vom Verfassungsschutz abgeschaltet worden und war seit 2007 im Ausland untergetaucht, bis ihn das Autorenteam jetzt in Liechtenstein aufspürte. Gab es also mindestens Mitwisser im Umfeld der Nachrichtendienste? Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen sagte der »Welt«, nach seiner »Erkenntnislage und nach den Auskünften der damals dafür zuständigen Mitarbeiter haben wir keine Anhaltspunkte dafür, dass es so war«.
Die Rechtsextremisten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe sollen laut Bundesanwaltschaft jahrelang unerkannt gemordet haben - was nicht ohne ein Netzwerk von Helfern ging. Zwischen 2000 und 2007 erschoss die Gruppe nach Erkenntnissen der Ermittler zehn Menschen, neun davon ausländischer Herkunft. Mit Sprengstoffanschlägen sollen sie zudem Dutzende Menschen verletzt haben. Spätestens von 2001 an nannten sie sich »Nationalsozialistischer Untergrund«. Nach dem Tod ihrer Kumpane im November 2011 stellte sich Zschäpe der Polizei. Seit Mai 2013 wird in München gegen sie und mutmaßliche Unterstützer verhandelt.
Inzwischen hat der stellvertretende hessische Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir von den Grünen für das Versagen des Staates bei der Aufklärung der NSU-Mordserie um Entschuldigung gebeten. Die Gefahr, die von der rechtsradikalen Szene ausging, sei unterschätzt und die Täter zu lange nicht entdeckt worden, sagte er am Mittwoch bei einer Gedenkveranstaltung zum 10. Todestag des Mordopfers Halit Yozgat in Kassel. Hinzu komme noch, dass durch die Ermittlungen die Angehörigen der Ermordeten ein zweites Mal zum Opfer gemacht worden seien.
Al-Wazir rief die rund 400 Bürger, die zum Gedenken auf dem nach dem Mordopfer benannten Halitplatz erschienen waren, dazu auf, der Hetze gegen Flüchtlinge, Migranten und Minderheiten täglich neu entgegenzutreten. »Aus Worten können Taten werden«, sagte er. Das Andenken an Halit Yozgat müsse wachgehalten werden, damit sich solche Dinge nicht wiederholten.
Die Kasseler Stadträtin Anne Janz (Grüne) wies darauf hin, dass der bereits 2006 erfolgte Mord an Halit Yozgat erst im Jahr 2011 aufgeklärt worden sei. Die Tat sei aus Fremdenhass und Rassismus erfolgt. Janz übte auch Kritik am Verfassungsschutz, dem Kritiker die Zurückhaltung von Informationen bei der Mordserie vorwerfen. »Der Verfassungsschutz muss die Verfassung schützen und darf nicht aus Geheimniskrämerei selbst zum Problem werden«, sagte sie. Es gelte nun, die Hintergründe aufzuklären.
Der Vater des ermordeten Halit Yozgat, Ismail Yozgat, forderte erneut, die Straße, in der sein Sohn geboren und aufgewachsen sei und in der er auch gearbeitet habe, in Halitstraße umzubenennen. Die Umbenennung eines Platzes und einer Straßenbahnhaltestelle in Halitplatz, den die Stadt 2012 nach Aufklärung der Tat vorgenommen hatte, reiche nicht aus.
Halit Yozgat war am 6. April 2006 in seinem Internetcafé in der Kasseler Nordstadt laut Staatsanwaltschaft vom NSU erschossen worden. Der Fall Halit Yozgat ist bis heute nicht vollständig geklärt. Insbesondere die Rolle eines Verfassungsschutzmitarbeiters, der sich kurz vor oder sogar während des Mordes im dem Cafe aufhielt, diesen aber nicht bemerkt haben will, erscheint weiterhin rätselhaft. Agenturen/nd
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