Das Flaschenhals-Problem

Trotz Reformen haben junge WissenschaftlerInnen auch zukünftig geringe Chancen auf eine feste Stelle

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 6 Min.

Die DDR vor dem Mauerbau hatte ein gravierendes Problem. Man steckte viel Geld in die Ausbildung der Bürger, die dann »rübermachten«, um im Wirtschaftswunderland BRD viel Geld zu verdienen. Für die Bonner Republik war das sehr lukrativ. Man bekam gute Arbeitskräfte, in deren Ausbildung man nicht investiert hatte. Dann kam die Mauer, der Brain Drain stoppte.

Heute hat die neue Bundesrepublik zumindest in einem Bereich ein vergleichbares Problem. Sie steckt viel Geld in die akademische Ausbildung von jungen Menschen, um sie dann an niederländische, britische oder amerikanische Unis ziehen zu lassen. Denn Hochschulabsolventen, die sich für eine wissenschaftliche Karriere entscheiden, hangeln sich oft bis zu ihrem 40. Lebensjahr von einer Drittmittel-Projektstelle zur nächsten. Viele schreckt diese jahrelange Ochsentour im akademischen Prekariat und sie entscheiden sich für eine Karriere im Ausland oder gehen in die Wirtschaft, wo mehr Geld zu verdienen ist.

Gleichwohl wollen weiterhin viele WissenschaftlerInnen ProfessorIn werden. Nur wenige schaffen es. Und nicht nur der Aufstieg in die akademische Oberklasse wird immer schwieriger, sondern überhaupt eine unbefristete Anstellung im wissenschaftlichen Mittelbau zu ergattern. Laut Bildungsgewerkschaft GEW haben neun von zehn wissenschaftlichen Mitarbeitern nur Zeitverträge. Man nennt das das Flaschenhals-Problem: Einer hohen Zahl qualifizierter und befristet angestellter Wissenschaftler steht eine geringe Zahl von Professuren bzw. sonstiger Dauerstellen gegenüber. Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht dies: Von 2004 bis 2014 ist die Zahl der Professuren um 1571 auf 22 422 gestiegen. Allerdings wuchs die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen im selben Zeitraum von 102 380 auf 163 985. Ein Plus von 61 605 Stellen. Von diesen Jobs ist die weit überwiegende Mehrheit über Drittmittel finanziert und mehr als die Hälfte der im Rahmen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes abgeschlossenen Verträge hat eine Laufzeit von weniger als einem Jahr (Stand 2011).

Diese Zahlen wurden unlängst in einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) zu den Beschäftigungsverhältnissen in der Wissenschaft anlässlich einer Tagung angeführt. Unter der Fragestellung »Wissenschaft als prekärer Beruf?« diskutierten Ende Februar Experten und Beteiligte über das Phänomen prekäre Beschäftigung an Universitäten. Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der GEW, und Peter Ullrich, Vertreter der Initiative »Für Gute Arbeit in der Wissenschaft«, kritisierten, dass die überwiegende Mehrheit der WissenschaftlerInnen nur noch Kurzzeitverträge bekomme und die Qualität der Forschung darunter leide. Selbst die Vertreterin des Bundesministeriums für Bildung und Forschung Dorothee Buchhaas-Birkholz sprach sich gegen den verbreiteten Irrglauben aus, »Hire and Fire« trage zu einer effizienten Wissenschaft bei.

Letzteres ist bemerkenswert, weil die Politik die Ökonomisierung und Neoliberalisierung der Hochschulen jahrelang mit vorangetrieben hat. Das Hire-and-Fire-Prinzip in der Wissenschaft und die im internationalen Vergleich besonders starke Ausbeutung der prekären WissenschaftlerInnen in Deutschland ist nur eine Facette eines seit wenigen Jahrzehnten grundlegenden Wandels des deutschen Hochschulsystems. Wie in anderen Gesellschaftsbereichen haben auch hier mit dem Siegeszug des Neoliberalismus Ökonomisierung, Effizienz- und Kostendenken, Wettbewerb und Deregulierung Einzug gehalten. Die Universität wird als Unternehmen geführt, Bildung ist Investition in Humankapital, das Humboldtsche Bildungsideal spielt kaum noch eine Rolle.

Der Soziologe Richard Münch spricht in seinem titelgebenden Buch von einem »akademischen Kapitalismus«, in dem Investitionen in die Forschung nach Maßstäben kurzfristiger Nutzenerwartungen vorgenommen werden. Konsequenz: Überinvestition in aktuell gewinnträchtige Forschungen, Vernachlässigung von jenseits des Mainstreams liegenden Themen. Insgesamt schrumpfe damit die Innovation der Wissenschaft, so Münch.

Das hat inzwischen nicht nur die Politik bemerkt, die in Gestalt von Bund und Ländern im Dezember bzw. Januar eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, das in seiner Fassung von 2007 wesentlich für die Ausweitung der Prekarisierung verantwortlich war, beschlossen hat. Die Kritik findet sich auch im Endbericht der »Internationalen Expertenkommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative«. Dort wird das Problem der NachwuchswissenschaftlerInnen interessanterweise angesprochen. Wohl gemerkt: Die Exzellenzinitiative ist kein Nachwuchsförderungsprogramm. Doch offensichtlich schwant auch ihren Befürwortern, dass es mit einem Heer von prekarisierten WissenschaftlerInnen irgendwann Essig ist mit Exzellenzclustern und Zukunftskonzepten. In dem Bericht heißt es, dass die lang dauernde Anstellung von Personen mit zeitlich befristeten Verträgen problematisch sei. Gar von Zynismus ist die Rede: »Die Situation ist insofern nicht ganz frei von Zynismus, als die Universitäten immens davon profitieren, dass sich eine große Zahl junger Menschen darauf einlässt - in der Hoffnung auf eine akademische Karriere - die produktivsten Jahre ihres Lebens auf schlecht bezahlten und befristeten PostDoc-Stellen zu verbringen.«

Doch was ist von der Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu halten? Laut der DGS nicht viel, weil sich an dem strukturellen Problem wenig ändere. Zu diesen zählt die Gesellschaft die massive Unterfinanzierung der Hochschulen, das hohe Ausmaß befristeter Verträge und fehlende Karriereperspektiven für den akademischen Mittelbau.

Was sich mit der Reform, die Mitte März in Kraft trat, ändert, steht zunächst nur auf dem Papier: etwas mehr Planungssicherheit für Karriere und Privatleben. Gegen »Fehlentwicklungen« wie Kurzzeit-Kettenverträge soll sich der Befristungsrahmen künftig an Projektlaufzeiten und Qualifizierungszielen der Mitarbeiter orientieren - in der Regel mehrere Jahre. Zudem wird die maximale Dauer wissenschaftlicher Hilfstätigkeiten von vier auf sechs Jahre angehoben. Andreas Keller gesteht zu, dass sich die Rechtsposition befristet Beschäftigter an Hochschulen und Forschungseinrichtungen nun verbessert habe - vorausgesetzt die neuen Befristungsregelungen würden nicht unterlaufen. Doch genau das befürchtet er, weil die Novelle zu vage und unverbindlich sei. »Wahrscheinlich machen einige Hochschulen einfach weiter wie bisher«, vermutet er auf »Spiegel.de«. So könne eine Hochschule die Vorbereitung einer Lehrveranstaltung als Qualifizierung deklarieren und dafür weiterhin Halbjahresverträge vergeben. Gut möglich, dass erst die Arbeitsgerichte klären, was eine angemessene Vertragslaufzeit in der Wissenschaft ist.

Auch Peter Ullrichs Einschätzung ist eindeutig: »Die Reform ist ein reines Feigenblatt und absolut unzureichend.« Es werde die Zwangsbefristung ohne Langzeitperspektive für WissenschaftlerInnen vollständig beibehalten. »Somit bleibt der künstlich inszenierte extreme K.o.-Wettbewerb um die viel zu wenigen Professuren weiter bestehen«, so der an der TU Berlin beschäftigte Ullrich auf »nd«-Anfrage.

Bund und Länder wollen in diesem Jahr zudem ein Programm für die Nachwuchsförderung an den Unis beschließen, dessen Zauberwort Tenure Track lautet. In Großbritannien oder den Niederlanden gibt es die Stelle des Lecturers, was mit der hier bekannten Juniorprofessur oder einer Dozentenstelle vergleichbar ist. Der Lecturer kann dort selbstständig lehren und forschen und vor allem wird er nach kurzer Probezeit unbefristet als Hochschullehrer angestellt. Im Gespräch für das hiesige Tenure- Track-Programm sind eine Milliarde Euro. Indes: Das Geld soll erst in zehn Jahren bereitstehen.

Auch das ist für Ullrich unzureichend. Zwar sei Tenure Track eine gute Sache. »Aber wir brauchen auch mehr Dauerstellen im Mittelbau, für Forscherkarrieren mit weniger Lehre«, sagt er und ergänzt: »Die reine Fokussierung auf die Professur verstetigt nur die feudalen Elemente im derzeitigen Modell.« Es fehle viel mehr Förderung in der Breite für gute Lehre und Forschung mit weniger Hierarchien.

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