Nicht etwa aus dem Fenster sehen!

Noch nie gab es in Hannover solch strenge Sicherheitsmaßnahmen wie zum Obama-Besuch

  • Hagen Jung, Hannover
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenn US-Präsident Obama am 24./25. April in die niedersächsische Hauptstadt kommt, herrscht dort allerhöchste Sicherheitsstufe. Für viele Bürger ist das mit großen Einschränkungen verbunden.

Mit dem Krückstock sollten sich betagte Bewohner des vornehmen Zooviertels in Hannover nicht ans Fenster wagen, wenn dort Obama-Alarm gegeben wird. Womöglich wähnen wachsame Personenschützer, Opas Gehhilfe könnte ein Schießprügel sein, und dann droht dem Senior Ungemach, denn: In jenem Nobelstadtteil, durch den des Präsidenten Limousine nebst Entourage zum nahen Kongresszentrum rollen könnte, hat die Polizei Handzettel verteilt mit dem Hinweis: Man möge sich, wenn der Präsident naht, vom Fenster fernhalten. Dadurch sollen »Irritationen bei den Sicherheitskräften und eine mögliche Überprüfung der Wohnung« vermieden werden.

Haben die Obama-Abschotter Angst vor einem zweiten Dallas? Davor, dass jemand auf Barack Obama anlegen könnte wie im November 1963 ein Attentäter auf John F. Kennedy, als der in offener Staatskarosse durch die Texasstadt fuhr und von drei Kugeln tödlich getroffen wurde? Immerhin bekundete Hannovers Polizeivizepräsident Thomas Rochell in einer NDR-Sendung: Man müsse davon ausgehen, dass es auch jemanden gibt, der dem US-Präsidenten und der ihn begleitenden Bundeskanzlerin Angela Merkel »nicht so wohl gesonnen ist«.

Die Alternative zum Fenster-Guck-Verbot wäre »vielleicht« gewesen, dass sich die Menschen im Sicherheitsbereich gar nicht in den Wohnungen hätten aufhalten dürfen, deutete der Polizeivize an. Im Klartext: Wegen des hochrangigen Messegastes hätte man die rund 1800 Viertelbewohner vorübergehend aus ihren Wohnungen scheuchen können. Wie beim Fund einer Bombe, deren Explodieren droht.

Das schlimme Wort »schießen« entfährt dem Polizeivize nicht, als ihn die TV-Moderatorin nach solchen Befürchtungen fragt. Man könne »einwirken« aus dem Zooviertel in Richtung des nahen Kongresszentrums, umschreibt er mögliches böses Tun. Was das sein könnte? Schießen? »Es gibt unterschiedliche Störmöglichkeiten«, sagt der Chefpolizist. Obama sei nun mal der gefährdetste Politiker der Welt, gibt Rochell zu bedenken und bestätigt: Solche Sicherheitsmaßnahmen wie jetzt gab es noch nie in Hannover.

Noch nie hat es seit 1945 in der Stadt zudem solche Zu- und Ausgangsbeschränkungen gegeben, wie sie demnächst die Menschen im Zooviertel ertragen müssen. Maßnahmen, die ältere Leute womöglich an ähnliche Auflagen aus der Besatzungszeit nach dem zweiten Weltkrieg erinnern. Am 23. und 24. April darf die Sperrzone nur nach Ausweiskontrolle betreten oder verlassen werden. Verwandte und Bekannte, die spontan zu Besuch kommen wollen, werden nicht durchgelassen. Erwartete Gäste müssen die Bewohner rechtzeitig bei der Polizei anmelden. Die nahe Kirchengemeinde hat eine Konfirmation schon abgesagt und verlegt wegen der Restriktionen im Statteil, und eine Friseurin dort öffnet ihr Geschäft erst gar nicht während des Obama-Aufenthalts.

Beschränkungen wegen Obama gibt es aber auch außerhalb des Zooviertels. Die berühmten Herrenhäuser Gärten, in denen der Präsident kurz weilen soll, werden vorübergehend geschlossen. Sperren wird es auch in deren Umfeld geben, und sogar in der Luft: Sportflieger müssen zu Hannover einen Abstand von 50 Kilometern einhalten. Und wo immer sich die Präsidentenkolonne auch bewegt - die Fahrtrouten sind geheim und werden erst kurzfristig festgelegt.

Auch auf der Hannover-Messe, in deren Rahmen Obama voraussichtlich für das umstrittene Handelsabkommen TTIP predigen wird, herrscht höchste Sicherheitsstufe, wird ein Blick auf den Präsidenten nur wenigen möglich sein. Kann ihn die Bevölkerung überhaupt irgendwo sehen? Am ehesten in den Medien, empfiehlt Hannovers Polizeivizepräsident Rochell.

Aus der Bevölkerung gibt es inzwischen viele erboste Kommentare zu den Sicherheitsmaßnahmen und deren Kosten. Besonders wütend äußern sich Hannoveraner über das Gesperre und das Fenster-Guck-Verbot im Zooviertel. So schreibt ein Mann: »Wenn ich dort Anlieger wäre, würde ich meinen nackten Arsch aus dem Fenster halten!«

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