Poetin des Widerstandes
In Mittel- und Südamerika ergreifen immer mehr Frauen das Mikro, um mit kreativem Rap für ihre Rechte einzutreten. Rebeca Lane ist die derzeit bekannteste und hat sich in ihren Songs für das Ende der Gesetzlosigkeit und gegen die patriarchalen Strukturen in Guatemala ausgesprochen. Dieser Tage ist die rappende Soziologin in Deutschland unterwegs. Von Knut Henkel
Manos pa’ arriba« (Hände nach oben) rufen mehrere Dutzend Frauen vor der Bühne der Spedition in Bremen. Einige singen den Refrain von »Bandera Negra« mit, einem der Underground-Hits von Rebeca Lane. In dem bekennt sich die 31-jährige Guatemaltekin zu Feminismus und Anarchismus, kritisiert die militärisch-mafiösen Herrschaftsstrukturen und tritt für den gesellschaftlichen Wandel ein. Am 27. Mai stand die Rapera, die Rapperin, aus Guatemala-Stadt bei der Premiere des Re*mix Festivals, des ersten Queer-Feminist-Hip-Hop-Events in Bemen, auf der Bühne. Das passt, denn Rebeca Lane legt Wert auf klare, feministische Strukturen und ist in Guatemalas Subkultur gut vernetzt. Theater hat sie gespielt, ihre Verse bei Poetry Slams vorgestellt, bevor sie durch Zufall beim Hip Hop landete.
»Ich habe mich während meines Soziologiestudiums mit Hip-Hop als kulturelles Phänomen beschäftigt, den Kontakt zur Szene aufgenommen und bin dann selbst reingerutscht«, erklärt sie lachend. Última Dosis, so viel wie letzter Schuss, heißt das Rap-Netzwerk, dessen Logo eine gefüllte Spritze ziert. Das Label half ihr bei den ersten Gehversuchen in der Rapszene. Das war 2012 und in dem Studio von Última Dosis wurden die ersten Gedichte von Rebeca Lane vertont und zügig in der dazugehörigen Radiosendung präsentiert. Das war das Trampolin für Rebeca Eunice Vargas Tamayac, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt. 2013 präsentierte sie »Cumbia de la Memoria«, die Cumbia der Erinnerung, eine scheppernde Hip-Hop-Hymne gegen das Vergessen und die Gesetzlosigkeit, die Guatemala seit dem Ende des Bürgerkriegs (1960-1996) prägt. Die Cumbia, ein Musikstil ursprünglich aus Kolumbien, die den Völkermord an der indigenen Ethnie der Maya-Ixil genauso anprangerte wie die Militärdiktatur unter Efraín Ríos Montt und die Machtstrukturen dahinter, war der Sängerin ein persönliches Bedürfnis. »Dieses Stück hat viel mit meiner persönlichen Geschichte zu tun, denn meine Tante Rebeca wurde von den Militärs verschleppt und ist bis heute nicht wieder aufgetaucht«, erzählt die aus einer Mittelklassefamilie stammende Querdenkerin.
Zwölf war sie, als am 29. Dezember 1996 das Friedensabkommen in Guatemala unterzeichnet wurde und ihre Oma zu weinen begann. Warum fragte sie und langsam, ganz langsam, hat sie gemeinsam mit einer Cousine die Wahrheit erfahren. In kleinen Scheiben, denn in ihrer Familie war nie über das Verschwinden der Schwester ihres Vaters gesprochen worden. Ein bleierner Mantel des Schweigens lag über der Familie. »So war es in vielen Familien. Über den Bürgerkrieg und seine Opfer wurde geschwiegen, Nachfragen waren riskant«, erinnert sich Rebeca. Ihrem Vater, ihrer Mutter und der Oma hat sie langsam alle Details rund um das Verschwinden ihrer Tante aus der Nase gezogen, mit der Cousine eine kleine Ausstellung zum Verschwinden der Tante und dem systematischen Verschwindenlassen von KritikerInnen, Andersdenkenden und AktivistInnen der Zivilgesellschaft erstellt und ausgestellt. Das hat dazu beigetragen, dass sie viel auf die Beine gestellt hat, auf die Straße gegangen ist, um gegen die Strukturen des Systems zu demonstrieren.
»Bis heute geben die Militärs im Verbund mit den Eliten den Ton in Guatemala an und derzeit findet unter dem neuen Präsidenten Jimmy Morales eine Remilitarisierung statt«, mahnt sie. Unter dem Deckmantel der Bekämpfung von kriminellen Jugendbanden, Maras genannt, sind die Militärs im öffentlichen Leben der Stadtviertel mit erhöhter Kriminalität, die Zonas Rojas heißen, zunehmend präsent. Unterdrücken und kriminalisieren lautet das Rezept, statt sich Grundproblemen wie der Jugendarbeitslosigkeit, der einseitigen Verteilung von Ressourcen und der gesellschaftlichen Ungleichheit zu stellen, moniert die Soziologin, die die Verhältnisse in den marginalisierten Stadtvierteln kennt. »Hip-Hop rettet Leben, denn Musik, Poesie, Theater sowie Malerei haben Int᠆egrationskraft, sorgen für positive Vibes und können verhindern, dass Jugendliche abdriften in die Straßenbanden und die organisierte Kriminalität«, erklärt Rebeca Lane, die als Miss Penny Lane ihre ersten Verse veröffentliche.
Poesie ist nach wie vor der Ursprung ihrer Songs, die nicht immer von harten Raps oder scheppernder Cumbia dominiert sind. Immer öfter sind es Balladen, mit denen sie auf Missstände aufmerksam macht oder für den Erhalt der Natur wie bei »Donde están« eintritt. Ein Stück, zu dem sie ein Aufenthalt in Nicaragua inspirierte. Denn dort, sagt Rebeca Lane, gäbe es die grünste Stadt Mittelamerikas. Genau das gefällt der Guatemaltekin, die den Umgang mit den natürlichen Ressourcen in Guatemala und den Nachbarländern kritisiert.
In den letzten Jahren hat sie auch gelernt zu singen. Bei einer Sopranistin nahm sie Unterricht, was dazu führte, dass sie anders klingt. Vielfältiger ist ihre Performance geworden und das brachte ihr nicht nur in Guatemala viele Fans ein. Dort ist sie, so Luz Méndez, Vorsitzende der Frauenvereinigung Guatemalas UNAMG, eine Ikone der Frauenbewegung. »Intelligente Texte, Musik, die mehrere Generationen erreicht und unglaublich engagiert«, lobt die Frauenrechtlerin.
Rebeca Lane wehrt sich gegen die permanente Bedrohung der Frauen in Guatemala. Morde an Frauen, Vergewaltigungen sind genauso wie häusliche Gewalt omnipräsent in Guatemala. »Frauen werden zu Sexobjekten degradiert, sind für Reproduktion und die Kinder zuständig, wenn es nach den Machos geht«, ärgert sie sich. Dagegen wehrt sich die streitbare Sängerin - mit ihren Texten, bei Konzerten und Festivals und durch den Aufbau von Netzwerken.
Im Frühjahr hat sie die ereignisreichste und längste Tournee ihrer Karriere hinter sich gebracht. Zwei Monate war sie gemeinsam mit drei weiteren Raperas, Audry Funk aus Mexiko, Nativa und Nakury aus Costa Rica, in Mittelamerika und Mexiko unterwegs. Um aufzutreten, in Workshops zu diskutieren, zu informieren, zu tanzen und zu sprayen. »Beim Hip-Hop stehen die Frauen in Mittelamerika im Schatten der Männer. Das wollen wir ändern, uns vernetzen und auf die prekäre Situation hinweisen«, erklärt Rebeca Lane. Die Tour hat für Aufsehen gesorgt und lokalen Raperas im brandgefährlichen Honduras, in El Salvador, in Guatemala oder in Ciudad Juárez an der mexikanisch-amerikanischen Grenze Mut gemacht weiterzumachen. »Zu wissen, dass da andere sind, von denen man was lernen kann, hilft«, erklärt Audry Funk, Rapera aus der mexikanischen Autostadt Puebla und gute Freundin von Rebeca Lane.
Die 27-Jährige mit den langen Dreadlocks hat Philosophie studiert, mehr Lust auf Sozialarbeit als auf wissenschaftliche Konferenzen und engagiert sich wie Kollegin Lane für den gesellschaftlichen Wandel und die Frauenrechte. Ähnlich wie bei Rebeca Lane gehören soulige R’n’ B-Nummern zu ihrem Repertoire. Das kommt an, wie die steigende Zahl der »Likes« in den sozialen Netzwerken zeigt, wo die Videos der beiden immer öfter angeklickt werden und die Zahl der Follower steigt. Beide sind noch ziemlich Underground, haben kein Musiklabel hinter sich, und verkaufen ihre privat produzierte Musik auf alternativen Plattformen wie »Bandcamp«. Das sorgt immerhin dafür, dass die Produktionskosten und manchmal auch mehr wieder eingespielt werden. Davon und von den Gagen ihrer Konzerte lebt Rebeca Lane, die für Diskussionen, Workshops und andere Aktivitäten offen ist. »Wenn der Rahmen stimmt«, schiebt sie noch hinterher. In Bremen und bei ihrer ersten kleinen Deutschlandtournee stimmt er, denn schließlich stammen die OrganisatorInnen aus feministisch-anarchistischen Zusammenhängen und dort gibt es offene Ohren für die Nachrichten aus Guatemala. Die will Rebeca Lane verbreiten, denn umso mehr Interesse es aus dem Ausland gibt, desto mehr Spielraum kann sich die Zivilgesellschaft, die in Guatemala erst wieder den Kopf erhebt, erkämpfen. Alternative Zentren, wie die Casa Roja in Guatemala Stadt, die mit einem kommunalen Radioprojekt aufwarten, spielen dabei eine wichtige Rolle - und das ist eine Parallele zu Veranstaltungsorten wie der Spedition in Bremen. Dort wurde Rebeca Lane ähnlich euphorisch gefeiert wie in der Casa Roja in Guatemala Stadt.
6.6. Leipzig, 9.6. Potsdam, 11.6. Berlin, Infos unter: https://www.facebook.com/rebecalane6/
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